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Die Kirsche in Berlin: Bericht von der ZEIT-Konferenz Fußball & Wirtschaft - Teil 1

Am vergangenen Samstag wurde es interessant in Berlin. Nicht nur wegen des Pokalfinals. Und auch nicht wegen den dort beheimateten Zweitligisten. In gediegener Atmosphäre fand im Ritz-Carlton Hotel eine vom ZEIT-Verlag organisierte und hochkarätig besetzte Konferenz zum Thema ?Fußball & Wirtschaft? statt. Bezeichnenderweise fand dies in jener Metropole statt, die gerade den Abgesang auf die Erstklassigkeit ihres eigenen Profifußballs betrauert.

Im stilvollen, jedoch nicht ganz gefüllten, ?Großen Ballsaal? des Hotels versammelten sich überwiegend vornehm gekleidete Herren der Wirtschaft um zunächst den Eröffnungsreden (u.a. DFB-Generalsekretärs Wolfgang Niersbach) zu lauschen. Am interessantesten war hier sicherlich die Eröffnungsrede von Willi Lemke, der noch allen als Gesicht von Werder Bremen in Erinnerung ist. Er sprach in seiner Funktion als UN-Sonderberater für Sport zunächst von seinen positiven Erwartungen an die WM in Südafrika. Bedenken wie sie bspw. Uli Hoeneß geäußert hat, kann er nicht nachvollziehen.

DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach eröffnete

DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach eröffnete

Der ehemalige SPD-Senator kritisierte jedoch auch einige Entwicklungen des professionellen Fußballs. Hierbei ist ihm vor allem die steigende Macht der Spielerberater ein Dorn im Auge. Warum diese siebenstellige Honorare kassieren, sei für ihn schleierhaft und völlig unverständlich.

Lemke schlug daraufhin den Bogen zum Sport im Allgemeinen. Für viele Regierungen sei der Sport nur ein Luxusprodukt. Doch Lemkes Meinung nach, kann der Fußball sehr wohl positiven Einfluss auf die Welt nehmen. Als Beispiel nannte er den wohl populärsten Fußballer der Elfenbeinküste, Didier Drogba, der nach einem Länderspiel seiner Ivorer gemeinsam mit Mitspielern vor laufenden Kameras auf die Knie ging und seine Landsleute - welche sich in einem erbitterten Bürgerkrieg befanden - dazu aufrief, die Waffen niederzulegen.

Ebenso diene der Fußball durchaus auch in der Bildung und im sozial-politischen Bereich als Mittel zum Zweck. Hier konnte Lemke von einem interessanten Beispiel aus Kamerun berichten. Dort sei es bspw. üblich, dass nach Jugendspielen die Unentschieden enden, statt einer Verlängerung, ein Quiz mit Fragen zur Prävention und Verhütung von AIDS an die Nachwuchsspieler folgt. Statt Toren gibt es für jede richtige Antwort einen Punkt. Am Ende gewinnt dann die Mannschaft mit den meisten richtigen Antworten. So wird der Fußball zur Bildung der Jugend nicht nur im sozial-sportlichen Bereich, sondern auch in anderen Bereichen ganz praktisch angewandt.


Der "Titan" ganz zahm...

Der "Titan" ganz zahm...

Es folgte das erste Podiumsgespräch. Neben ZEIT-Chefredakteur Moritz Müller-Wirth, der die Diskussion moderierte, nahmen Willi Lemke, Dr. Christoph Bergner (ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Mitglied des Bundestages und Staatssekretär im Innenministerium, CDU), Oliver Kahn sowie als Wirtschaftsvertreter Ingo Bohlken von der Post sowie Klaus Fuchs von VW (ehemaliger Geschäftsführer des VfL Wolfsburg) an der Diskussion teil. Nachdem Selbstvermarkter Oliver Kahn ein wenig menschelte und von Momenten aus seiner Laufbahn erzählte, die ihn menschlich weiterbrachten (dies waren überraschenderweise keine Titel) berichtete er anschließend von seiner letzten Aktivität: Seiner Juror-Tätigkeit bei einer Castingshow für junge Torhüter in China. Diese sei nachhaltig gewesen, deswegen würde er sie auch lieber Wettkampfshow nennen. Denn das Wort Castingshow sei zu negativ assoziiert in Deutschland. Wie dem auch sei, der Gewinner durfte ein halbes Jahr lang in einer DFB-Schule trainieren und will nun in Deutschland studieren. Das sei Nachhaltigkeit, die der Fußball schaffe. Aha. Ansonsten hält Kahn die Einflussmöglichkeiten von Fußballern und dem Fußball im Allgemeinen im Sinne einer Nachhaltigkeit auf die Welt für eher begrenzt. Im Anschluss an die Kahn-Show stellten die beiden Herren von VW und der Post ausführlich das Engagement ihrer Unternehmen im Bereich Fußball dar. Bis hierhin wirkte das ganze eher wie ein Sammelsurium von Darstellungen sich selbsterfüllender Wirtschaftsprojekte. Von einer ernsthaften Diskussion um nachhaltige Veränderungen durch den Fußball war da wenig zu hören. Genau diese Selbstdarstellung zeigte letztlich, worum es sich auch und gerade im Fußball dreht: Um das liebe Geld und um die Marke, ob sie nun Kahn oder VW heißen mag.

Interessant wurde es erst, als der Moderator bei Kahn nachhakte, wie es bspw. bei Spielen in politisch-gesellschaftlich schwierigen Gebieten in einem Spieler aussieht. Ob er hier sein Handeln hinterfragt oder völlig machtlos dem Ganzen ausgeliefert ist. Kahn berichtete daraufhin von einem Länderspiel in Albanien, wo die Mannschaft in einem zerfallenen Hotel untergebracht war und in ihren Trainingsanzügen auf Pritschen übernachtet hat. Solche Umstände könne man natürlich nicht ausblenden. Diesbezüglich kritisierte er dann auch die Journalisten, die immer nur auf das blanke Spielergebnis fixiert an die Spieler und an so ein Spiel herangehen würden ? als ob die Spieler die Umstände völlig kalt lassen würden. Hier gäbe es eine Diskrepanz zwischen den Umständen in einer solchen Region und der sportlichen Verpflichtung, gewinnen zu müssen, genauso wie es die Diskrepanz gäbe zwischen den ärmlichen Verhältnissen vor Ort und den zufriedenen Menschen die einem dann im Stadion begegnen.


Willi Lemke konnte hier noch am ehesten etwas Produktiveres zur Diskussion beitragen. So berichtete er von einem UNO-Programm zur Förderung von 18-25 Jährigen im Fußballbereich. Hier werden jene junge Menschen gefördert, die ?so Lemke- ?nur soziale Kompetenzen? haben und nicht privilegiert sind. Die meisten anderen Förderprogramme seien sonst letztlich nur Förderprogramme für Kinder der Elite, die einen entsprechenden Schulabschluss haben.

Entsprechend durchwachsen fiel das abschließende Fazit des Moderators aus: Es gibt noch viel zu tun, hinter die Ausgangsfrage könne man am Ende nur ein gestricheltes Ausrufezeichen setzen. Man müsse die Verbindung zwischen Wirtschaft & Fußball vor allem außerhalb der Kameras befördern. Wie dies auszusehen habe und ob dies nicht auch gegebenenfalls eine zu große Vereinnahmung des Sports mit sich bringen würde, diese Frage wurde leider nicht mehr gestellt. Und so blieb die Erkenntnis: Der Fußball ist ein hochmodernes Mittel um Wirtschaftsinteressen zu transportieren, die positiven gesellschaftlichen Funktionen des Fußballs (soziale Kompetenz, weltverbindend) werden in der Relation zum wirtschaftlichen Nutzen nur hier und da genutzt. Ein Mehr an nachhaltigem Engagement wie es Willi Lemke dargestellt hat, das wünscht man sich und ist wohl mehr als erstrebenswert. Das Vorantreiben der wirtschaftlichen Verquickung mit dem Fußball hingegen sollte man nicht so unkritisch fordern, wie es hier geschehen ist. Auch wenn das Wirtschaftsprodukt Fußball sich natürlich schon voll entfaltet hat. Eine engere Verzahnung zwischen Fußball und Wirtschaft kann ?hinter den Kameras? in bestimmten Bereichen sicherlich einen nachhaltig positiven Einfluss auf die Welt nehmen (bspw. in der Bildung, Kompetenzausbildung, soziale Kompetenzen). ?Hinter den Kameras? sollte jedoch nicht bedeuten, dass die Transparenz ebenfalls hinter den Kameras verschwindet und der Fußball zum Spielball von Wirtschaft und Politik wird.


Nach einer Pause ging es dann weiter mit dem 2. Plenum: ?Der Fußballstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb?. Auf dem Podium waren folgende Diskutanten geladen: Kicker-Herausgeber Rainer Holzschuh, Hannover 96-Präsident Martin Kind, der Geschäftsführer des Pleiteclubs aus Herne-West Peter Peters, Borussen-Geschäftsführer Hans-Joachim ?Aki? Watzke und ein unangekündigter Wirtschaftsvertreter. Die einleuchtende Eingangsfrage lautete: "Ist Deutschland international wieder wer!?"

Relaxt und gewohnt souverän: Aki Watzke

Relaxt und gewohnt souverän: Aki Watzke

Hier waren sich die Beteiligten schnell einig, dass der deutsche Fußball international derzeit wieder besser da steht. Dies sei u.a. der inzwischen hervorragenden Jugendarbeit in den Proficlubs zu verdanken. Statt auf günstige Mittelklassefußballer aus Osteuropa, setze man nun verstärkt auf den eigenen Nachwuchs und das zahle sich eben aus, so Watzke. Jedoch seien die momentanen Erfolge bspw. im Europacup nur Momentaufnahmen und man müsse abwarten ob der deutsche Fußball auch mittelfristig so erfolgreich bleibe, ergänzte Kind.

Während Herr Peters ob der finanziellen Schieflage seines blauen Schuldenvereins zauderte und die unterschiedlichen Voraussetzungen innerhalb des internationalen Fußballwettbewerbs (unterschiedliche Steuerabgaben, TV-Gelder) beklagte, schaute sein schwarz-gelber Kollege Aki Watzke optimistischer in die Zukunft und merkte Interessantes an: ?Gemeinsam mit Michael Zorc und Jürgen Klopp haben wir vereinbart, dass der BVB in Zukunft vermehrt in Italien, Portugal und Spanien scouten lassen wird. Dies wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen!?

Der Fußballstandort Deutschland gilt also wieder etwas in Europa, die Bundesliga dürfte in naher Zukunft noch attraktiver werden für Spieler aus Ländern, die derzeit noch die vermeintlich attraktiveren Ligen beherbergen. Und der BVB darf sich vielleicht schon bald auf hoffnungsvollen Nachwuchs aus Iatlien, Spanien und Portugal freuen.

Der zweite Teil folgt in Kürze. Dann berichten wir euch, warum es doch noch hoch her ging bei den Diskussionen, von 50+1 Debatten, finanziellen Problemen, dem emotionalen Saisonhöhepunkt für Aki Watzke und einem BVB-Saisonfazit von Kicker-Herausgeber Rainer Holzschuh.

Patrick Meiß, 19.05.2010

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