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Wir werden Essen nie vergessen

Wenn man einen Text mit den Worten ?Wir werden XY nie vergessen? beginnt, so ist es ziemlich sicher, dass man eine Trauerrede über einen so eben verblichenen Freund hält. Setzt man für das XY ?Essen? ein, so ist es der Refrain des Stadion-Gassenhauers ?Oppa Luschekowski? und doch ist es seit Freitag so, als wäre mit RWE ein Freund verblichen.

Nach einem Kampf bis zur letzten Minute musste Vorstand Thomas Hermes die Insolvenz vor über 1000 wartenden Fans an der alterwürdigen Hafenstraße bekannt geben. Es geht für das Team aus der zweitgrößten Stadt des Ruhrgebietes hinunter in die NRW-Liga ? mindestens.

Bis zum Ende hatten die Fans versucht, ihren Verein zu retten und fehlende 2,2 Mio ? für die Erteilung der Lizenz aufzutreiben. Am Mittwoch hatten sich hundert von ihnen vor dem Haus des Essener Bürgermeisters Reinhard Paß postiert, um lautstark um Unterstützung zu bitten.

Gottes Segen versuchte man bei einer Fronleichnamsprozession am Donnerstag zu erringen, um am Freitag potenzielle Sponsoren abzuklappern. Doch weder bei RWE, Hochtief, Evonik oder den Stadtwerken erhielten sie Gehöhr. Lediglich die Sparkasse sicherte die weitere Unterstützung zu: Allerdings in der fünften Liga.

Und so kam das, was kommen musste: Der Lizenzentzug für einen Bundesliga-Dino. Freilich kam das alles nicht überraschend, der tiefe Sturz des Vereins begann bereits 1998. Damals stieg man sportlich in die Oberliga ab und war dort bereits nah an der Insolvenz. Mit der Konsolidierung ging jedoch auch der sportliche Aufschwung voran, im Jahr 2004 sah man sich wieder in der zweiten Bundesliga und das Gefühl war da, wieder auf dem Weg zu alter Stärke zu sein.

Schließlich war RWE als Deutscher Meister 1955 (im Endspiel vor 80.000 davon 5 x mehr Essener als Lauterer im Niedersachsenstadion von Hannover) die erste deutsche Mannschaft, die im damals erstmals ausgespielten Europapokal der Landesmeister teilnahm. Zwar schied man in der ersten Runde gegen Hibernian Edinburgh aus, sicherte sich aber trotzdem einen Platz in den Geschichtsbüchern.



Der Glanz in der Saison 2004/2005 verblasste schnell. Nur auf die Heimstärke konnte man sich nicht verlassen und stieg ohne Auswärtserfolg in die Regionalliga Nord ab. Trotz sofortigen Wiederaufstieges war die Abwärtsspirale der Essener in Gang gesetzt. Lorenz-Günther Köstner konnte den Abstieg in der Saison 05/06 nicht verhindern, am letzten Spieltag unterlag man Duisburg und der erneut bittere Gang in die Drittklassigkeit stand an.

Doch damit nicht genug: Der Favorit auf den direkten Wiederaufstieg in die zweite Liga verpasste in der folgenden Saison durch ein 0-1 gegen den bereits abgestiegenen VfB Lübeck die Qualifikation für die eingleisige dritte Liga und rutschte in die Viertklassigkeit ab.

Finanziell setzte man viel mit Risiko darauf, schnell in die 3. Liga aufzusteigen, doch gelang dies in zwei Anläufen nicht. Das ging nach hinten los, doch nicht allein nur sportlicher Misserfolg führte zum stillen Abgang.

In den letzten fünf Jahren waren sage und schreibe gleich neun verschiedene Trainer im Georg Melches-Stadion am Werk, der Ex BVB-A Jugend-Trainer Peter Hyballa wird ab Sommer der zehnte sein. Präsident Rolf Hempelmann trat 2008 nach zehn Jahren Amtszeit zurück. Mit ihm verabschiedete sich der letzte Rest Kontinuität von einem Verein, der mit Helmut Rahn einen der größten Fußballer der deutschen Geschichte hervorbrachte. Er wäre bestürzt, wenn er die Situation seiner alten Liebe miterleben müsste. Purer Aktionismus führte zur Verpflichtung von Thomas Strunz als Sportchef. Sein Fünf-Jahres-Plan, an dessen Ende der Aufstieg in die zweite Bundesliga stehen sollte, war das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt war. So trennten sich nach einem Jahr die Wege.



Der schwerste Klotz am Bein des Vereins war schon seit vielen Jahren das Stadion. Seit 1994 hatte es nur noch drei Tribünen und verfällt immer weiter. Bereits 2005 sollte ein neues Stadion unweit der alten Spielstätte entstehen. Trotz Ratsbeschlusses wurde dennoch nicht gebaut und nach dem Verpassen der Qualifikation für die dritte Liga stockten die Pläne immer weiter und die dringend notwendige Baumaßnahme wurden ausgesessen.

Essen sollte Spielort der Frauen WM 2011 werden und auch eine Einigung mit Gläubigern kam zu Stande. Konkrete Pläne entstanden, der erste Spatenstich wurde im August 2009 für das auf 20.000 Zuschauer ausgelegte Stadion schon gemacht. Doch die Finanzkrise setzt vor allem den Städten zu. Essen konnte keine Zusicherungen mehr machen, das Bauvorhaben finanziell zu unterstützen und eine alleinige Sponsorenfinanzierung erschien nicht möglich und erscheint es jetzt noch viel weniger.

Darum entlud sich die Wut der Essener Fans auch hauptsächlich gegen den Bürgermeister Reinhard Paß, der mit üblen Hasstiraden bedacht wurde, Gesänge weit unterhalb der Gürtellinie hallten am Freitag durch die Hafenstraße. Viele Fans waren nach dem Aus des Vereins aufgebracht, versuchten Tore und Rasen im Stadion herauszureißen, andere weinten hemmungslos.

Sicherlich wäre mit Unterstützung der Stadt der Neubau einfacher von Statten gegangen, doch hat erst die katastrophale Personalpolitik der vergangenen Jahre und die riskanten Finanzgebahren mit dem Motto ?Wir müssen aufsteigen? den Verein erst in die missliche Lage gebracht. Da kann die Stadt nichts dafür, die verständlicherweise eher Kindergärten und Schulen sichert, als einen Verein zu subventionieren, der, so muss man es leider sagen, in den vergangen Jahren von Harlunken regiert wurde.



Eine Insolvenz ist die bitterste Erfahrung für einen Verein. Noch bitterer für RWE ist, dass man das Verblassen des eigenen Sternes daran sieht, dass die Insolvenz in vielen Zeitungen nur eine Randnotiz wert ist. Man hat sich zu lang im Licht der Vergangenheit gesonnt, wie bei vielen Ex-Bundesligisten wie Dynamo Dresden oder Arminia Bielefeld klafften Anspruch und Wirklichkeit hier besonders weit auseinander.

Vielen - vor allem älteren - BVB-Fans wird die Insolvenz der Essenern weh tun. Auch wenn man beim letzten Pokalauftritt des BVB in Essen 2008 nicht gerade freundlich empfangen wurde: Viele Freundschaften sind lang gewachsen und fast jeder kennt irgendeinen Essen-Fan, für den in diesen Tagen die Welt zusammenbricht. Man fühlt mit und weiß, dass ein wichtiges Stück des Ruhrgebietes wegbricht.

Wenn alles gut läuft, geht es für RWE ?nur? in die NRW-Liga. Man darf hoffen, dass die Insolvenz genutzt werden kann, um sich völlig neu mit einer seriösen Führung aufzustellen, die auch eine ordentliche Portion Realismus mitbringt. Der Unterstützung der eigenen Fans darf man sich auch in den unteren Klassen sicher sein, solange die neue sportliche Führung auf dem Boden bleibt. Man kann RWE nur wünschen, dass die Insolvenz für den Verein eine reinigende Wirkung hat. Dann und nur dann, kann man mittelfristig wieder nach oben schauen. Wir jedenfalls werden Essen auch in den unteren Ligen nicht vergessen.

, 06.06.2010

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