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Vom emotionalen Spiel zur gediegenen VIP-Atmosphäre – Der Spieltag mit Nobby Dickel (III)

Wenn man sieht, wieviel Nobby Dickel vor dem Anpfiff in Dortmund schon unterwegs war, würde das alleine schon für einen Job reichen. Doch der Hauptteil seine Arbeit beginnt erst mit dem Anpfiff und endet erst weit nach dem Spiel.

15:29 Uhr: Eventbühne an der Süd-West Ecke

Elf Jahre gibt es nun schon das BVB-Netradio, über 300 Spiele hat Nobby mit Boris Rupert oder in Ausnahmefällen Constantin Blaß kommentiert. Bei Heimspielen immer zusammen aus dem Stadion, auswärts verbringt Nobby die Zeit oft in Kneipen und bei Fanclubs, weswegen sein Torjubel der Verzögerung bei der Fernsehübertragung wegen immer verspätet eintrifft.

Viele Highlights haben sich über die Jahre angesammelt, große Spiele wie die Partie gegen Bremen zur Meisterschaft 2002, das 4-0 gegen den AC Milan, die verdorbene Schalker Meisterschaft 2007, das Netradio war immer dabei. Nicht immer waren es die Spiele, die die Übertragungen besonders machten, sondern oft lustige Begebenheiten oder Flüche der Kommentatoren.

Sie haben es in die Einslive O-Ton Charts geschafft, waren bei der Bild Online-Aufmacher und verzweifelten 2002 beim 2-0 Sieg gegen Nürnberg an der Aussprache des eingewechselten Club-Spielers Adebowale Ogunbure. Wer sich einige Highlights noch einmal zu Gehöhr führen will, wird bei den Ruhr Nachrichten fündig.

Dem Gespött mancher Fans anderer Vereine zum Trotz machen sie immer weiter und auch in Zeiten der Sportsbars steigen die Hörerzahlen. Dies wohl gern auch als Begleitung zum Fernsehbild, um den Kommentaren von Marcel Reif oder Fritz von Thurn und Taxis zu entgehen.

Gegen Werder schaltet Boris Rupert nach zwei Minuten erstmals von der Pressetribüne zu Nobby herunter. Ein kurzes Handzeichen und es geht los. Gleich fällt ein Dortmunder Spieler im Bremer Strafraum und Nobby wittert einen Elfmeter. Die schnelle Körperdrehung um 180 Grad und er hat einen kleinen Fernsehschirm vor sich, der das Stadion TV zeigt: ?Kein Elfmeter?, so das schnelle Urteil nach Einsicht der Wiederholung.


Kurz danach dann die lange Flanke von Patrick Owomoyela, die Kevin Großkreutz mit einer Bogenlampe per Kopf verwertet. Auch wenn er gerade nicht auf Sendung ist, jubelt Nobby laut und herzt jeden, der sich in seiner Nähe aufhält. Oft sind es unschlüssige Sponsoren, die mit dem imposanten Blick von der Eventbühne überzeugt werden sollen.

Die Toransage ist bei jedem Tor gleich und doch so anders als bei dem ?Danke-Bitte?-Einheitsbrei der Stadionsprecher der ?neueren? Generation. ?Zehnte Spielminute, neuer Spieltand Eins zu Null für Borussia Dortmund, Torschütze der Spieler mit der Nummer 19 ? Kevin GROßKREUTZ!?

Er hält nicht viel von den immer gleichen Rufen vieler anderer Stadionsprecher, die auch bei einem Anschlusstreffer zum 1-3 immer noch die Fans animieren den Spielstand als ?Wolfsburg 1, Dortmund NULL? zu beschreien. Besonders Michael Trippel, der beim 1. FC Köln die Ansagen macht, ist für Nobby belustigend: ?Der schläft fast ein, wenn er ein Tor ansagt? lacht der Siegerländer und äfft seinen Kollegen nach: ?Achte.....Spielminute.....Tor...für den 1. FC Köln....Torschütze....der Spieler mit.....der Nummer Neun....?. Überhaupt gibt es unter den Stadionsprechern wenig Kontakte. Einzig Werder-Stadionsprecher Arnd Zeigler, der Sonntags um 23:45 Uhr auf WDR seine ?Wunderbare Welt des Fußballs? präsentiert, ist ein enger Freund, der ihn wie heute immer gerne auf der Eventbühne besucht und im späteren Verlauf des Tages noch eine gewichtige Rolle spielen sollte.

Doppelt frohe Kunde erreichte den Ohrstöpsel in Nobbys Ohr aus Gelsenkirchen. Schon beim 1-0 für den FC Bayern jubelte er laut auf, beim schnell folgenden 2-0 fragte er erst noch einmal ungläubig nach: ?Wirklich 2-0??, bis er wie ein Derwisch jubelnd über die Eventbühne hüpfte. So stellt man sich einen echten BVB-Fan vor, der dem ungebliebten Nachbarn nichts gönnt und wie die Südtribüne bei der Ergebnisbestätigung auf der Anzeigetafel fast so laut jubelt, wie bei einem eigenen Treffer.

Ein solcher sollte aber wenige Minuten später folgen und das 2-0 für die Borussia durch Neven Subotic eine beruhigende Führung perfekt machen. Nobby spricht seine Toransage nicht nur, er zelebriert sie. Die Südtribüne an der Seite setzt er seine Arme gestikulierend mit bei der Ansage ein, als wäre er allein Dirigent einer Aufführung mit 75.000 Akteuren. Er ist nicht nur Fan und Dirigent, sondern auch Trainer am Mikrofon:?Los Jungs, kämpfen.?, ?Hau das Ding rein.?. Er ruft Dinge, die der normale Fan auch gerne vor dem Fernseher von sich gibt und behält dabei seinen unvergleichlichen Ruhrpottslang: ?Und Mertesacker haut das Ding mit 180 über den eigenen Kasten?.

Der Halbzeitpfiff beendet die erste Hälfte und lässt auch den Stadionsprecher etwas zur Ruhe kommen. Die Halbzeitunterhaltung überlässt er bis auf ein kurzes Spielfazit anderen. Das Duell zwischen Jugendspielern und Profis ersetzt momentan werbewirksame Sponsorenspiele und kommt gut an.

Im zweiten Spielabschnitt wendet sich das Blatt, Werder gewinnt die Überhand und auch der Radiokommentator beginnt zu zittern. Der Anschlusstreffer tut sein übriges und sorgt dafür, dass Nobby abermals energisch die Defensive des BVB anpeitscht und an vergebenen Großchancen verzweifelt. In der Nachspielzeit kann er kaum noch ruhig stehen, ?Pfeif doch ab?, ruft er in das Mikrofon und auf den Platz hinab. Als ihm Babak Rafati den Gefallen tut, ist sein erleichtertes Durchpusten über die ganze Bühne zu hören, ihm geht es wie allen anderen Fans auch. Borussia hat 2-1 gewonnen.

Nach einigen Ansagen zum Spieler des Spiels und den Ergebnissen der anderen Spiele, bei denen er den Sieg der Bayern besonders euphorisch betont, lässt Nobby sich erschöpft auf ein Sofa in der zum 100. Geburtstag errichteten Nostalgieecke der Bühne plumpsen. Die 90 Minuten waren anstrengend und aufwühlend, er versucht langsam wieder runter zu kommen. ?Es ist keine hohe körperliche Anstrengung, aber die psychische Belastung ist enorm. Ich fiebere beim Spiel mit, muss es aber auch kommentieren und konzentriert bleiben.?, konstatiert er leicht ermüdet.

Zeit zur Ruhe bleibt ihm nur kurz, das Spielerinterview mit Sebastian Kehl in der Stammtischebene muss vorbereitet werden. Auf einer Karteikarte skizziert er die wichtigsten Punkte. Wie hat er das Spiel empfunden? Wie stark ist er verletzt? Wie werden die anderen Ergebnisse bewertet?

17:50 Uhr: Stammtischebene unter der Haupttribüne

Die junge Hostess am Eingang zur Stammtischebene scheint noch nicht lange im Dienst zu sein, oder aber keinen Sinn für den BVB zu haben. ?Sind Sie Verantwortlicher vom BVB?? fragt sie Nobby, als er, ohne ein VIP-Bändchen vorzuzeigen, eintreten wil. Nobby lächelt nur müde und hat nach kurzem Gespräch die Hostess passiert. Sofort muss er sich wieder einer Aufgabe widmen, die sowieso eine seiner geheimen Hauptaufgaben zu sein scheint: Hände schütteln, kurze Gespräche mit den Gästen führen.

Hier ist es aber auch etwas anders, seine Aufgabe der Sponsorenbindung fällt in die Gespräche mit hinein: Er versucht jeden Gesprächspartner so zu behandeln, als wäre er der Erste, mit dem er über das Spiel und den Rest der Saison philosophiert. Ich frage ihn, ob er mit den zahlungskräftigen VIPs anders umgehen muss, als mit dem gewöhnlichen Fan. ?Nein, das mache ich nicht, ich bleibe immer ich selbst.? Und doch zeugt gerade sein Spielerinterview mit Sebastian Kehl, der um 18:30 Uhr ankommt, von einem gewissen Respekt den Gästen gegenüber. Er, der von allen geduzt wird und sich immer auf eine Ebene mit den Fans begibt, siezt die Gäste und geht so zu einer gewissen Förmlichkeit über.

Als ihn kurz vor dem Verlassen der Stammtischebene ein Gast noch auf Englisch anspricht und Nobby eine Flasche eines guten Tropfens schenkt, bedankt er sich höflich und plauscht in einem passablen Englisch. Man muss wohl auf alles vorbereitet sein, wenn man täglich mit vielen Leuten in Kontakt kommt.

18:50 Uhr: Golfareal unter der Süd-Ost Ecke

Das Golfareal ist eine Art Rückzugspunkt für Nobby nach dem Spiel. Hier sieht er seine Frau wieder, hier ist auch der Trubel des Spiels weit entfernt. Dieses Mal läuft es doch etwas anders als erwartet. Arnd Zeigler erwartet Nobby bereits und hat ihm eine Überraschung mitgebracht, die er so gar nicht erwartet hatte. In seiner aktiven Zeit, kurz nach dem Pokaltriumph in Berlin, hatte er einen Gastauftritt in der etwas plumpen Serie ?Die Vier von der Tankstelle?. In der Folge fährt Nobby an der Tankstelle vor, was einen der vier Tankwarte vor Überraschung völlig erstarren lässt. Erst als Nobby einen seiner Treffer wiederholt, erwacht der Schauspieler aus seiner Starre. Das ganze wirkt grotesk und mies gespielt, auch Nobby wirkt viel schüchterner, als man es von ihm gewohnt ist. Für einen Moment verschlägt es dem sonst so wortgewandten Stadionsprecher die Sprache, als Zeigler ihm lachend Fotos von der Folge unter die Nase hält und nebenbei für seine sonntägliche Sendung filmen lässt.

Nobby nimmt es dann doch mit Humor und duelliert sich mit dem Werderaner und WDR-Mitarbeiter an der Torwand, wenigstens einen Erfolg will dieser nach der Niederlage seiner Bremer noch mit nach Hause nehmen. Nobby legt vor und setzt einen seiner drei Schüsse ins untere Loch. Zeigler macht es ungleich besser und trifft gleich drei Mal. ?Du hast doch geübt?, frotzelt Nobby seinem Freund Arnd zu. Während dieser schießt, versucht der Gastgeber mit mäßigem Erfolg Beweismittel seines TV-Auftrittes zu vernichten und die Fotos in seinem Mund verschwinden zu lassen. Nachdem in die oberen Löcher keiner der Kontrahenten einen Treffer setzen konnte, muss Nobby dem Gast den Sieg anerkennen. Eine verschmerzliche Niederlage nach einem gewonnenen Spiel. Zeigler verabschiedet sich aus dem Stadion, wie immer fair dem BVB gegenüber und ohne Groll: ?Wer verdient gewinnt, dem gönne ich den Sieg auch.? Es gibt leider nicht viele Gegner, die so ehrlich und freundlich bleiben.

Es ist mittlerweile 20 Uhr. Nobbys Frau Annette muss noch arbeiten, er will dagegen nur noch nach Hause. ?Ich lege mich jetzt auf Sofa und gucke fern. Und wenn es Deutschland sucht den Superstar ist, hauptsache aufs Sofa.? Nobby ist erschöpft, er hat sich seinen Feierabend verdient. Zu Hause ist er kein Stadionsprecher, kein Eventmanager und kein Kommentator, er ist einfach nur Nobby. Natürlich und bodenständig, wie ihn die Fans auch kennen. Er hätte manchmal mehr Wertschätzung verdient.



Julian Bräker, 12. April 2010

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