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Von Berlin-Kreuzberg nach Potsdam-Babelsberg

Babelsberger Jubel in der Oberliga.

Babelsberger Jubel in der Oberliga.

Aus der nordostdeutschen Oberliga ist eine "Berliner-S-Bahn" -Liga geworden. 7 Vereine stammen aus der Hauptstadt. Mittendrin: das Phänomen Babelsberg 03. Meine allzeit hochgeschätzten Freunde und Bekannten aus der Nordkurve, Block C des Babelsberger ?Karl-Liebknecht-Stadions? mögen mir im Vorfeld verzeihen, dass die von mir gewählte Überschrift bei ortsunkundigen Leserinnen und Lesern eventuell den Eindruck erwecken könnte, Potsdam-Babelsberg gehöre in irgendeiner Weise zu Berlin.

Darum gleich und direkt zur vorauseilenden geographischen Beschwichtigung: Der, soweit mir bislang bekannt, in jeglicher Hinsicht sympathische, idyllisch im Grünen gelegene, architektonisch reizvolle, städtebaulich liebevoll restaurierte und natürlich nicht zuletzt durch den glorreichen SV Babelsberg 03 fußballhistorisch bedeutsame Stadtteil der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam, hat außer der bereits im Titel erwähnten S-Bahn-Verbindung mit dem somit circa 30-minütig entfernten Zentrum des Moloches natürlich selbstredend so ?so jut wie jarnüscht jemein?.

Darum also: This is Potsdam, not Berlin, auch wenn sich so mancher Unternehmensverband und andere vergleichbar zwielichtigen Institutionen, wie zum Beispiel politische Parteien besonders in Berlin, seit Jahren die wenig verbliebenen Haare raufen, weil die mehrfach angepeilte Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg vor allem von Letztgenannten schlicht und ergreifend, und aus nicht allzu schwer verstehbaren Gründen (Zentralismus! Souverenitätsverlust! Fass-ohne-Boden-Berlin!), nachhaltig abgelehnt wird. Der Brandenburger, oder im älteren Sprachgebrauch auch ?Märker? genannt, gilt nicht zu Unrecht als recht dickköpfig und stur, und ist bei aller Herzlich-, Freundlich- und Direktheit nur selten von einer einmal gefassten Meinung abzubringen. Eine Eigenschaft, die mir persönlich die Eingeborenen dieses Landstriches mitunter zusätzlich sympathisch macht...

Aber genug der lokalpatriotisch-ethnologischen Fein- und Besonderheiten von Nachbarstädten, schließlich sind diese in vergleichbarer Form ja auch gerade im Ruhrgebiet, dem Stammgebiet der wohl meisten Kirsche-Leser, nicht ganz unbekannt, und zurück zum eigentlichen Thema dieser Zeilen, dem König Fußball. Gespielt in diesem Fall vom SV Babelsberg 03, momentan leider, und vorübergehend hoffentlich,noch in der NOFV-Oberliga, Staffel Nord, also der 4.Liga unter Schirmherrschaft des Nordostdeutschen Fußballverbandes, mit Mannschaften aus Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, von der Berliner Presse diesjährig angesichts der mittlerweile sieben teilnehmenden Berliner Vereine (Tennis Borussia, 1.FC Union, BFC Dynamo, BFC Preussen, Berliner AK 07, Türkiyemspor Berlin, SV Yesilyurt) nicht ganz unzutreffend als ?Berliner S-Bahn-Liga? tituliert.

Wieder ein Treffer auf dem Weg in die Regionalliga.

Wieder ein Treffer auf dem Weg in die Regionalliga.

Somit gestaltet sich also die potenzielle Anreise zu den Spielen der meisten NOFV-Vereine von Berlin-Kreuzberg, äh, ich meinte natürlich von Potsdam-Babelsberg aus, als recht zeitsparende Angelegenheit, von den Ausnahmen der mecklenburgischen Vertreter des FC Anker Wismar, der TSG Neustrelitz, des SV Greif Torgelow, und den Amateuren des FC Hansa Rostock einmal abgesehen. Das Bundesland Brandenburg stellt neben den diesjährigen Neulingen von Falkensee/Finkenkrug die Amateure des FC Energie Cottbus, den FC Ludwigsfelde, den FV Motor Eberswalde und den MSV Neuruppin, unterlegener DFB-Pokalrundengegner der Münchner Bayern 2005, und vor allem direkter, letzt- wie wohl auch diesjähriger Hauptkonkurrent Babelsbergs um den angestrebten Aufstieg in die Regionalliga Nord.

Verspielte Babelsberg in der letzten Saison 04/05 wenige Spieltage vor Saisonende nach Meinung vieler 03-Anhänger noch fahrlässig bis leichtsinnig den zwischenzeitlich als sicher geglaubten Aufstieg, was sich wohl hauptsächlich aus den immer stärker werdenden Differenzen zwischen Mannschaft und dem mittlerweile ersetzten, als recht autoritär geltenden Trainer Peter Ränke erklären ließ, soll natürlich dieses Jahr mit dem Trainergespann Radislav Hodul und René Tretschok (letzterer auch Spieler) alles anders bzw. besser werden. Leichter wird es aber wahrscheinlich nicht, denn außer dem bereits erwähnten wichtigen Konkurrenten, dem MSV Neuruppin, ist mit dem Abstieg des 1.FC Union in die Oberliga ein neuer, und nicht zuletzt finanzstarker (Wieder-) Aufstiegsaspirant zum munteren Treiben dazugestoßen. Da es bei den Berlinern von Union nach direkter ?Durchreiche? von der 2. in die 4. Liga wohl nicht nur um die Rettung des Prestiges, sondern bei Nichterreichung des direkten Aufstieges in die Regionalliga vielmehr mittelfristig um das finanzielle wie sportliche Überleben gehen dürfte, ist anzunehmen, dass sich der 1.FC Union trotz kleinerer Schwächeleien zum Saisonauftakt sehr ins Zeug legen wird, alleine auch schon, um seine noch immer, nicht nur in Berlin sehr zahlreichen, und in den letzten Jahren sehr leidgeprüften Fans (und Sponsoren) bei Laune zu halten.

Die ?Eisernen? aus Berlin-Oberschöneweide sind aber beileibe nicht die einzigen Ballakteure der Oberliga, mit denen sich der SV Babelsberg 03 in dieser Saison noch um den heiß begehrten ersten Platz herumstreiten dürfte, neben dem immer wieder bedenklich im oberen Tabellendrittel auftauchenden Ludwigsfelder FC, gewissermaßen dem unmittelbaren, weil nur wenige Kilometer entfernten Lokalrivalen der 03er, sind es vor allem die beiden ?türkischen? Oberligavereine aus Berlin, namentlich Türkiyemspor Berlin und der SV Yesilyurt 73, die bereits in den letzten Spielzeiten immer wieder für Überraschungen gut waren, und die dies wohl aufgrund ihrer kontinuierlichen Aufbauarbeit nicht zuletzt im Jugendbereich und durch eine geschickte Transferpolitik immer noch sind. Das Anfang des Jahres durch die Berliner Presselandschaft wabernde Gerücht über eine anstehende Fusion beider Vereine mit weiteren türkischen Clubs aus der Hauptstadt scheint jedoch erstmal vom Tisch zu sein, zu groß sind wohl die personellen Differenzen über die Verteilung der Funktionärspöstchen im so enstehenden, theoretisch größten türkischem Fußballverein Europas außerhalb der Türkei.

Nun, das ist ja alles schön und gut, mag sich der geneigte, aber mit den Detail-Teufeln der Berliner Fußballlandschaft eventuell nicht ganz so vertraute Kirsche-Leser fragen, aber warum sucht sich der in Berlin wohnhafte Schreiber dieser Zeilen dann nicht einen der, teilweise sehr traditionsreichen Berliner Vereine für seine hier geleistete Lobeshymne aus, wenn es doch gleich sieben an der Zahl gibt, die so bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar per Fahrrad erreicht werden können?

Augen zu und durch: "Nulldrei" gewinnt gegen Hansa Rostock II.

Augen zu und durch: "Nulldrei" gewinnt gegen Hansa Rostock II.

Nun, ich gebe zu, als ?Neuberufener?, böse Zungen würden es vielleicht ?Erfolgsfan? nennen, steht es mir nicht wirklich zu, die reichhaltige Geschichte der Babelsberger Fußballgeschichte hier darzustellen und zu kommentieren, geschweige denn auch nur im entferntesten einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, weswegen ich Interessierte an die Internetadresse des Vereins, www.babelsberg03.de und die dort minutiös aufgeführte Vereinschronik verweisen möchte. Nichtsdestotrotz wage ich es nach ziemlich genau einem Jahr der Babelsberger Beobachtungen zu behaupten, dass dieser Verein in der Region eine gewisse Sonderrolle genießt, dies vor allem aufgrund der sehr aktiven Teilhabe der Anhängerschaft an den Geschicken des Clubs, die, aus der Not geboren, sich mittlerweile stabil etabliert zu haben scheint. Dementsprechend ist dem folgenden Artikel aus der Stadionzeitung ?Bizim Takim? von Turkiyemspor anläßlich der Begegnung beider Vereine Mitte September zuzustimmen, in dem einer der sehr aktiven 03-Fans (namentlich Ruppi) sehr treffend die auch mir persönlich wichtigen Gründe nennt, warum es gerade auch immer mehr Fußballfreunde aus dem Berliner Raum zunehmend in das Karl-Liebknecht zieht:

?Im April 2003 wäre der SV Babelsberg fast im Niemandsland des Fußballs verschwunden. Antrag auf Insolvenz. Nicht zuletzt durch ein neu aufkeimendes Engagement der Anhängerschar wurde der Verein wieder in gesunde Bahnen gelenkt. Seit diesem Zeitpunkt sind Babelsberger Fans in allen Gremien des Vereins vertreten und gestalten Stadionzeitung, Merchandisingartikel und Homepage. Die Tradition Babelsbergs und seiner Fans reicht lange bis in die Anfänge des letzten Jahrhunderts zurück. Babelsberg ist seit jeher ein Arbeiterverein und darauf aufbauend entstanden auch die noch bis heute spürbaren Fanstrukturen. Der Babelsberger Zuschauer ist, wenn man genau hinsieht, nichts anderes, als man es aus anderen Stadien ebenso gewohnt ist. Ein Spiegel der Bevölkerung ? positiv, wie negativ. Die Besonderheit liegt mit Sicherheit im Bereich der Fans, die sich in der Nordkurve ansiedeln. Choreographien, ein Großteil der Fangesänge, fast alle Fanclubs, halt alles was die Mannschaft kreativ unterstützt, kommen aus dieser Kurve. Würde es diese Kurve nicht geben, müsste sie erfunden werden. Auch hier sieht man vom Arbeitslosen bis zum Doktor alles, was die Gesellschaft zu bieten hat. Nur verbindet diese Leute neben dem Sport noch andere Dinge. Ein ganz besonderes Klima von Freundschaft, gemeinsamen Freiheits-, wie auch Freizeitdenkens ist dort zu spüren. Leute, die sich sonst aus WGs, Konzertveranstaltungen, Proberäumen, Kunstzirkeln, sowie alternativen Projekten etc. kennen, treffen sich hier am Wochenende auf ein Bierchen beim Fußball, um ihren SVB 03 anzufeuern. Anderenorts wird diese Fankurve oft fälschlicherweise als linksextrem und dergleichen hingestellt. IMHO hat diese Kurve nur einen etwas bewußteren Blick auf das Leben und die Gesellschaft. Nirgends sonst fühle ich mich im Stadion so wohl. Ohne sie würde mir in Babelsberg etwas fehlen. Auf ein gutes und faires Spiel. Und schönen Gruß aus Babelsberg...?

Die zutreffende Einschränkung nicht ?linksextrem und dergleichen? zu sein, wird allerdings wohl weder von der Polizei in Brandenburg und Berlin, als noch viel weniger von zahlreichen Anhängern vor allem der beiden großen Ostberliner Vereine, dem 1.FC Union und dessen ewigen Konkurrenten, dem BFC Dynamo geteilt, welche wiederum beide in dem nicht ganz unberechtigten Ruf stehen, eher rechte bis rechtsradikale Meinungen zu vetreten. Gerade die durch unschöne nationalistische Schlachtrufe und Randaleszenen während und nach dem letztjährigen BFC Dynamo-Gastspiel in Potsdam, bei dem sogar mehrere Verletzte auf Babelsberger Seite zu beklagen waren, als auch schon nach Heimspielen mehrfach durch rassistische Übergriffe unangenehm aufgefallenen und dementsprechend berüchtigten Hooligans des BFC sehen die Anhängerschaft des SVB 03 wohl größtenteils als sogenannte ?Zecken? an, weswegen z.B. bei Teilen der 03-Fans wiederum Sympathien mit den Anhängern von Tennis Borussia Berlin (?TeBe?) festzustellen sind, die einen ähnlichen, eher ?linksorientierten? Ruf genießen, und deshalb bei bestimmten Begegnungen von den Sicherheitskräften und der Polizei mißtrauisch, bei bestimmten anderen Fangruppierungen, wie den oben genannten, fast durchweg ablehnend betrachtet werden.

Müde Stimmung beim Kellerkind Eberswalde.

Müde Stimmung beim Kellerkind Eberswalde.

Dementsprechend sieht man in der Babelsberger Nordkurve auch zahlreiche FC St. Pauli Devotionalien, viele Celtic Glasgow-Fanuntensilien, den ein oder anderen AS Livorno-Anstecker und natürlich auch antifaschistische Symbolik, die beispielsweise in der Form des roten Sternes auch bei einigen offiziellen Merchandiseartikeln von 03 Einzug gehalten hat. Gewissermaßen verpflichtet ja bereits der Name des Stadions, welches übrigens in der gleichnamigen ?Karl-Liebknecht-Straße? gelegen ist, zu einer doch gewissen, und von einem Großteil der Babelsberger Fans wohl auch eindeutig gutgeheißenen politischen Ausrichtung, respektive Identität.

Wie es rein sportlich im Laufe dieser nun ja nicht mehr ganz so jungen Oberligasaison für 03 weitergehen wird, steht meiner Meinung nach jedoch noch ziemlich in den Sternen. Leider ging kürzlich das Spitzenreiterduell gegen den Hauptkonkurrenten Neuruppin mehr oder weniger unglücklich mit 1:0 auswärts verloren, eine kontinuierliche und stabile Spielweise vor allem im Sturm scheint momentan leider wieder weiter entfernt zu sein. Man erzielt zwar durchaus Achtungserfolge gegen, nun gut zugegebenermaßen stark schwächelnde Oberligamannschaften (z.B. das ?Schützenfest? gegen Eberswalde mit 7:1), gegen die weiter oben bereits genannten Aufstiegskonkurrenten tut man sich zumindest bislang noch schwer, und wahrscheinlich werden erst die in der Hinrunde noch ausstehenden Spitzenspiele wie gegen den 1.FC Union, Ludwigsfelde und den SV Yesilyurt schon einmal die Weichen für das dann tatsächliche Saisonziel nächstes Jahr stellen.

Es wäre allerdings mehr als ärgerlich, dass jetzt, wo die Abschaffung der Relegation auch in der Oberliga Nordost seitens des DFB in ?trockenen Tüchern? zu sein scheint, der somit zumindest theoretisch etwas einfacher gewordene Aufstieg in die Regionalliga Nord erneut wie im letzten Jahr durch Unkonzentriertheit kurz vor Saisonende in unerreichbare Ferne rücken würde. Das dem hoffentlich nicht so sein wird, und man im Gegenteil ein wohl rauschendes mehrtägiges Fest in der alten und traditionsreichen ?Filmstadt? Potsdam-Babelsberg feiern will, wenn dann zum Ende der Saison 2005/06 der Wiedereinzug in die Regionalliga seit 2003 glücken sollte, nun, dieser Wunsch dürfte bei dem Babelsberger Anhang ganz weit oben auf der Liste stehen.

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