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Burnout-Syndrom im Profi-Fußball

Dichte Wolkenformationen ziehen auf, verdunkeln den sonst so blauen Horizont der Unterhaltungsmaschinerie Bundesliga. Der moderne Sport wird von Nebenwirkungen begleitet, die seine Leistungsträger müde und schlapp, wenn nicht gar traurig und krank machen - und die dazu führen, dass im Dauer-Stress nicht mehr nur die Bänder oder Achillessehnen reißen, sondern auch die Sehnen der Seele. Vorbei die Zeiten als auf Sportplätzen ?nur" Fußball geboten wurde; heute werden in Arenen Events inszeniert. Mehr Geld, mehr Show, mehr Leistungsdruck. Eigentlich eine Entwicklung im Sinne der Fans. Für die Sensibleren unter den Protagonisten allerdings scheint der Bogen überspannt.

Den Betroffenen geht die psychische und physische Leistungsfähigkeit, sowie die Kraft zum Regenerieren verloren. Der Ausdruck ?Burnout" geistert seit Monaten durch die Stadien. "Besonders ehrgeizige und sensible Persönlichkeiten, die höchste Leistungen bringen müssen, neigen dazu, die Regeneration nicht zu pflegen und sind für derartige Zusammenbrüche prädestiniert", erläutert Dr. Edda Gottschaldt, ärztliche Direktorin der Oberbergkliniken.

Müssen sich die Bundesligavereine in Zukunft auf dieses Krankheitsbild einstellen? Sich neben Kreuzbandrissen und Knochenödemen auch mit psychischen Problemen ihrer Angestellten befassen?

Jan Simak und Sebastian Deisler sind prominente Fälle des Syndroms, das seinen jetzigen Namen anno 1974 vom deutschstämmigen H. Freudenberger bekam. Zu Ätiologie (Krankheitsursache) und Pathogenese (Krankheitsverlauf) besteht bisher kein einheitliches Meinungsbild. Obwohl sich der Großteil der Fachliteratur auf soziale Berufsgruppen als mögliche ?Opfer" bezieht, ist ?Burnout" längst nicht mehr nur das "Stress-Syndrom der helfenden Berufe", sondern kann überall dort ausgelöst werden, wo die eigenen Leistungsgrenzen durch andauernd eigene zu hohe Anforderungen oder z.B. extreme Arbeitsbelastung überbeansprucht werden. Und neu ist es schon gar nicht. Schon das Alte Testament berichtete vom Propheten Elias und seiner "Elias-Müdigkeit", einem klassischen Burnout-Syndrom im heutigen Sinne. Goethe verließ seinen Ministerposten in Weimar und floh nach Italien, weil er dichterisch auszutrocknen drohte. Sein Arbeitgeber, Herzog Karl-August von Weimar, nahm ihm das nicht übel. Er ermunterte ihn sogar, sich ausgiebig zu erholen, dichterisch zu reaktivieren und dann ?wiederhergestellt" zurückzukommen.

Eine ähnliche Auszeit gestanden sie beim FC Bayern auch Sebastian Deisler zu, obwohl für derartige Sensibilität im Fußballgeschäft normalerweise kein Platz ist. Neun Millionen Euro Ablöse haben sie vor gut zwei Jahren für Deisler bezahlt. Laut dem vorschnellen Urteil von Aufsichtsratmitglied Edmund Stoiber eines der größten Verlustgeschäfte des Klubs. Rund dreieinhalb Millionen beträgt sein Gehalt. Die wirtschaftlichen Folgen eines möglichen Karriereendes wären fatal. Deisler, so Bayern-Boss Rummenigge, ist für das Risiko nicht nachträglich zu versichern, das sei wie bei einer Knieverletzung. "Es steht viel Geld auf dem Spiel, da brauchen wir nicht drum herum zu reden. Das ist kein einfaches Thema für uns. Wir sind eine Aktiengesellschaft und auch den Aktionären verpflichtet." Dazu kam beim Wechsel ein Handgeld von zehn Millionen. Dieses Handgeld hat vielleicht mehr als alles andere dazu beigetragen, dass aus einem introvertierten Menschen ein depressiver wurde. "Burnout ist immer eine individuelle Reaktion auf eine individuelle Überforderung" (Psychotherapeut Dietmar G. Luchmann). Ähnlich wie Karl-August von Weimar damals, hoffte ganz Fußball-Deutschland auf einen bald regenerierten Ballkünstler. Und tatsächlich: Kaum zurück und ein paar ansehnliche Spiele abgeliefert, galt er vielen wieder als das, was er selbst offenbar so sehr fürchtet: Als (fast) alleiniger Heilsbringer bundesdeutscher Spielkultur. Unterschwellig, vielleicht sogar ungewollt, wurde in der Öffentlichkeit wieder Druck auf ihn ausgeübt. Da halfen auch alle Appelle zur Rücksichtnahme der Verantwortlichen beim DFB und bei Bayern nichts. Die Liga hat ihre eigenen Mechanismen. Der Druck war wieder da, von außen und (noch stärker) von sich selbst. Ein Stresszustand, der Deisler schon sehr lange begleitet. Der Druck, sehr früh erwachsen werden zu müssen, seit er im Alter von fünfzehn gegen den Willen seiner Mutter Gabriele nach Mönchengladbach ins Fußball-Internat gezogen war. Der Druck, überall, wo er hinkam, zum Hoffnungsträger ausgerufen zu werden. Mit 18 bei Borussia Mönchengladbach. Mit 19 bei Hertha BSC Berlin. Mit 20 in der Nationalmannschaft, als die Nation nach der missratenen EM 2000 im Jammertal steckte und händeringend nach neuen Helden suchte. Mit 22 dann beim FC Bayern. Nun also der Burnout Rückfall, ein weiteres Kapitel in der langen Krankenakte Deislers, der in nur 5 Profijahren bereits 15 Verletzungen und 5 Operationen zu überstehen hatte.

Nicht falsch verstehen: Ich prangere hier nicht kühl kalkulierende Vereinsvertreter oder ungeduldige Medien an. Das Millionengeschäft Fußball ist ja nicht erst seit Deislers Mitwirken ein Haifischbecken. Wer ein solch stattliches Salär erhält wie er, dem muss klar sein, dass dafür auch eine Gegenleistung verlangt wird, dass öffentlicher Leistungsdruck entsteht. Das ist bei Topmanagern nicht anders. Ein Fußballstar bekommt ja nicht zuletzt deshalb solch astronomische Summen ausbezahlt, weil die Öffentlichkeit derart viel Interesse am Fußball hat. Doch womöglich sind Hoffnung und Anteilnahme, die Tausende, Hunderttausende auf einen Menschen projizieren, körperlich spürbar. Den einen befeuern sie. Der andere verbrennt daran. Deisler ist der andere.

Im Fußball geht es bereits seit den Achtziger Jahren um Millionen, doch auch schon zu Zeiten eines Helmut Rahn, war das Rampenlicht hell genug, um darin aufzugehen oder zu verglühen. Und einem Sebastian Deisler geht es heute viel besser, als es Rahn, dem Helden von Bern, erging. Er erfährt Geduld und erhält professionelle Hilfe. Rahn dagegen tauchte ab in Rausch und Schatten. Mit seinem legendären Tor im Endspiel von Bern 1954, so klagte der Boss in seiner Essener Heimat, "begann die ganze Scheiße in mein Leben". Er verdribbelte sich im gesellschaftlichen Abseits, war aus der Öffentlichkeit verschwunden, bis die Zeit für Nachrufe gekommen war.

Es ist schwer für einen ?normalen" Arbeitnehmer, Verständnis aufzubringen, wenn junge Millionäre, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten, depressiv werden. Wie kann es sein, dass ein Sportstar, statt im Glanz, im Geld und im Glück zu baden, im Dunkel der Depressionen versinkt? Bei Deisler war es das jahrelange Wechselspiel zwischen hohem öffentlichen Interesse einerseits, und der eigenen Erwartungshaltung andererseits. Einem introvertierten Mann wie ihm ("Richtig wohl fühle ich mich nur, wenn ich alleine in meinem Auto bin und bei geschlossenen Scheiben Musik höre.") erscheint jeder Rummel um seine Person bedrohlich. Öffentliche Kritik schmerzt in mehr, als jeder Tritt eines Gegenspielers. Sebastian fühle sich, so ein Freund, "sehr oft eingekreist, bedrängt, ja verfolgt. Nicht nur von Menschen, sondern auch von Ansprüchen und Anforderungen."

Also doch nur das individuelle Problem eines übersensiblen Profis, der den Anforderungen des modernen Geschäfts einfach nicht gewachsen ist? Mitnichten, das Burnout-Syndrom ist im Sport kein Gebrechen von Einzelschicksalen - sondern muss als drohende Berufskrankheit in Betracht gezogen werden. Fußballprofis erfüllen viele Voraussetzungen des Burnouts und gehören mittlerweile zu den Risikogruppen. Es erscheint also nur eine Frage der Zeit, wann der nächste, vielleicht nicht so prominente Fall bekannt wird. Dieser Thematik nahm sich kürzlich auch der ?kicker" mit einer repräsentativen Umfrage an: Hat der Psychodruck in der Bundesliga zugenommen? Jeder Zweite antwortete mit ja - die Selbstzweifel und Versagensängste wachsen, der Erwartungs- und Leistungsdruck entwickelt sich zum ernsten Problem, dem nicht jeder gewachsen scheint. Und das nicht nur im Fußball: "Die Einzigen, die sich an dich erinnern, wenn du Zweiter wirst, sind deine Frau und dein Hund." (Damon Hill)

Spaß, Sicherheit und Intuition verschwinden, das Spiel verliert das Spielerische, wird zu Arbeit. "Viele Patienten beschreiben das Gefühl, mit immer mehr Energieaufwand immer weniger zu erreichen", sagt Luchmann. Der Athlet wird von seinem eigenen Sport verschlungen, ausgerechnet von dem Metier, das er meisterhaft beherrscht, seiner Leichtigkeit beraubt. Und das alles in intimer Nähe zur Öffentlichkeit. Früher versuchten Zuschauer und Chronisten diskret an Bewegung und Haltung abzulesen, was in einem Athleten vorging. Inzwischen sind sie näher getreten. Viel näher. Interviews und Talkshows sind Teil des Sportlerlebens, die Öffentlichkeit verlangt danach. Drama, Leidenschaft, Wahnsinn - im Sport entblößen sich die Protagonisten.

Hat dann ein Sebastian Deisler überhaupt den richtigen Beruf? Vor 50 Jahren wäre es ihm sicher leichter gefallen. Wichtig war auf?m Platz, nebenbei wurde malocht. Heutzutage gehört zum Beruf des Fußballprofis weit mehr als das, was zwischen Aufwärmen und Auslaufen passiert. Leider, denn eigentlich geht es doch nur darum!

- 17.12.2004

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