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Bye bye Bökelberg - Ein Gästefan nimmt Abschied

Langsam und mühselig erklomm man ihn ? vorbei an den kleinen Vorstadt-Villen und den gepflegten Gärten des Stadtteils Eicken bahnte man sich seinen Weg, stieg noch die letzten Treppen empor und plötzlich lag er einem zu Füßen. Der Bökelberg ? Fußballstadion, Kultstätte und für viele Gladbacher bis heute großer Mythos.

Doch die Zeiten in denen die 34.500 Fans auf den Rängen alle zwei Wochen auf das saftige Grün herabblickten sind vorbei. Heute ziert ein großer Bauzaun die ?Bökelstraße? und wo einst begnadete Fußballer, wie Stefan Effenberg oder Günther Netzer das Fußballspielen erlernten, halten bald Bulldozer und Abrissbirne Einzug. Der Bökelberg geht einsam und verlassen seinem traurigen Ende entgegen.

Vor gut anderthalb Jahren verstummte der letzte Torjubel auf dem Bökelberg -  Arie van Lent war es, der als letzter Spieler das Tornetz zum Wackeln brachte. Seit her ist Ruhe eingekehrt. Der Rasen erinnert mehr an eine Wiese, als an einen Fußballplatz. Vor der Südkurve spiegeln vereinzelte Werbebanner die letzten Stunden des Bökelbergs wider. Hoch über ihnen ragen vier Betonpfeiler mit der Flutlichtanlage in den Himmel. Jeder einzelne kann von großen Geschichten erzählen. Geschichten, die in Mönchengladbach bald nur noch in Geschichtsbüchern zu finden sind, denn wo man gestern noch vom Mythos Gladbach zu erzählen wusste planen heute schon die Müllers, Krauses und Schmidts ihr schmuckes Einfamilienhäuschen.

Dabei blickt das Stadion auf eine beeindruckende Historie zurück. Am 20.09.1919 wurde das damalige ?de Kull? (?die Kuhle?) mit einem Spiel zwischen Westdeutschland und Süddeutland  eingeweiht. Der Süden gewann mit 4:1 und dem Ergebnis zu Trotz wurde es später in das ?Westdeutsche Stadion? umbenannt. In den 60er Jahren sanierte der Verein das Stadion. Neue Ränge entstanden und ein Tribünendach ziert seither die Heimspielstätte des VfL Borussia. Mit den Erfolgsgeschichten in den 70er Jahren begann auch der Mythos Bökelberg zu leben. Die steilen Ränge und die Nähe zum Publikum erdrückten die gegnerische Mannschaften. Als die Gladbacher 1970 erstmals Deutscher Meister werden platzt das Stadion aus allen Nähten. Auf dem Rasen tummeln sich Zehntausende, so dass die Spieler in die Kabinengänge flüchten ? heute hängen bereits die ersten Türen schief in der Angel. In den Kabinengängen, wo sich einst Superstars die Klinke in die Hand drückten herrscht heute beängstigende Leere und Stille. Nur schwer vorstellbar, wie hier die elf Spieler von Inter Mailand an jenem 20. Oktober 1971 mit hängenden Köpfen den Rasen des Bökelbergs verließen und in ihre Kabine stampften ? Sekunden nach einer satten 7:1 Niederlage gegen die ?Fohlen-Elf? ? 77 Minuten nach dem ihr Mitspieler Roberto Boninsegna von einer ominösen Cola-Büchse getroffen wurde.

Getroffen hatte auch Herbert Laumen. Der Gladbacher Mittelstürmer, der sogar zwei mal für die Nationalelf auflief, krachte im April 1971 im Spiel gegen Werder Bremen mit voller Wucht gegen den Torpfosten und brachte diesen erstmals in der Geschichte der Bundesliga zum Einsturz. Auch so eine Geschichte, die nur der Bökelberg und seine Fans zu erzählen wissen. Einer von Ihnen kennt sie alle: die Triumphe und Tragödien am Bökelberg und noch heute genießt er Europaweit absoluten Kult-Status: Manolo. Der erste und wohl bekannteste ?Einheizer?, den Fußball-Deutschland erlebt hatte. Seit 1977 saß die Kultfigur der Gladbacher-Fanszene oben auf dem Zaun und unterstütze Fans und Spieler gleichermaßen. Trotz Zuckerkrankheit und gesundheitlichen Problemen kam er 2003 zum letzten Spiel auf dem Bökelberg. Er gehörte dazu ? er war ein Stück des Mythos ? ein Stück der einzigartigen Geschichte dieser Kultstätte. Doch wo ihm einst das Grün des Rasens zu Füßen lag werden schon in wenigen Wochen schwere Baustellenfahrzeuge die letzten Steine des Bökelbergs von dannen schaffen. Das Leben nach der Fußball-Stätte gilt seit Monaten als beschlossen:

Der Bökelberg blickt seiner letzten Stunde entgegen (Foto: Borussia-fotos.de)

Auf einer Gesamtfläche von 40 000 Quadratmetern sollen nach den Plänen von Architekt Dietmar Haasen zukünftig 68 Edel-Einfamilienhäuser entstehen. Zum Preis von rund 400? pro Quadratmetern werden die Grundstücke verkauft. 400? für jedes Stück Gladbacher Fußball-Historie. Über knapp zehn Millionen ? Netto darf sich die Stadt Mönchengladbach zukünftig freuen. In Mitten der Vorstadt-Idylle von Mönchengladbach Eicken ziehen dann 68 Familien in ihr neues Eigenheim ? wo früher ganze Reihen von Fußballerlegenden gegen ein rundes Leder traten. Traditionen und Kultobjekte wurden bereits vor Monaten postmodern ?outgesourct? - die alte Anzeigentafel und die alten Sitzschalen längst an Fans und Freunde des VfL Borussia verscherbelt ? ja selbst für die abgenutzten Wellenbrecher fand sich Verwertung und als der gesamte Borussen-Tross raus aufs Land zog und in einer tristen, grauen, aber immerhin funktionellen ?Arena? seine Zelte aufschlug hinterließ man dem Bökelberg nicht viel mehr als Stille und die Erinnerung an alte, schöne Zeiten.

Weder Tornetze, noch ein paar Sitzschalen erinnern daran, dass hier vor bis zu 19 Monaten noch Bundesligafußball gespielt wurde. Lediglich die steilen Ränge und das Tribünendach schauen auf einen herab und zurück auf 85 Jahre Fußball-Historie. Alleine im Mittelkreis fragt man sich wie viele Fußballer wohl in all den Jahren den Rasen vor der Nordkurve betraten? Wie oft ein Torschrei wohl die Fensterscheiben der Nachbarhäuser zum Vibrieren brachte? Wie viele Millionen von Menschen hier wohl ein- und ausgingen? Wie viele von Ihnen hier durch 90 Minuten Kampf und Leidenschaft emotional berührt wurden oder wie viele Tränen vor Freude oder Trauer dem Berg herabflossen? Fragen, die wohl für ewig unbeantwortet bleiben werden.

Als ich in den späten 90er Jahren erstmals den Bökelberg besuchte hatte das Stadion einen unfassbaren Reiz. Diese Ränge, diese Atomsphäre hoch über den Dächern Mönchengladbachs. Auch für einen Gästefan war der Bökelberg mehr, als ein normales Stadion. Er war ein Stück Bundesliga. Er war ein Stück der großartigen Geschichte unseres Sports. Im Kabinengang des ehrwürdigen Stadions des FC Liverpool steht ein Schild mit der Aufschrift ?This is Anfield?. Jeder Spieler der ?Reds? berührt es bevor er den Platz betritt. Nicht wenige Gästespieler überkommt dort eine Gänsehaut, ein Gefühl der Betäubung gleich nicht in ein Fußballstadion einzulaufen, sondern in eine uneinnehmbare Festung. Vielen ist es auf dem Bökelberg ähnlich ergangen. Dieses Stadion hatte mehr erlebt, als manch andere Spielstätte. Es bestach durch Ausstrahlung und Atmosphäre. Das Stadion, in dem die Gladbacher Borussia bis 1987 (0:2 gegen Dundee) kein einziges Europapokalspiel verlor, war nicht nur für Fans und Spieler eine Heimat, sondern auch für einen Teil der Bundesliga. Es gehört dazu, wie das erste Tor von Timo Konietzka oder die legendäre Pressekonferenz von Giovanni Trappatoni

Der Bökelberg wartet auf Bulldozer & Abrißbirne (Foto: Borussia-Fotos.de)

Schon in Kürze werden die Ränge konventionell mit Abrissbirne und Presslufthammer platt gemacht. Zerstört und abtransportiert, damit die feinen Damen und Herren weiter an ihrem Loft bauen können. Viele Gladbacher blicken währenddessen weiter wehmütig zurück auf die Stätte ihrer Historie - doch genau so wächst die Anzahl derer, die sich im neuen Borussia-Park bereits heimisch fühlen. Schön im Trockenen bei guter Sicht auf das Spielfeld und 20.000 mehr in der Hütte. Dazu Videowände für die Halbzeitbespaßung.
Übel nehmen kann man es Ihnen nicht. Jeder Verein muss sehen wo er bleibt und in Zeiten in denen selbst Vereine, wie Duisburg oder Wolfsburg mit ?tollen? Arenen glänzen, tritt die neue Ausrichtung vor jeglichen Sinn für Tradition und Historie

Vorwerfen kann man dem Verein scheinbar nur den Kampf gegen Anwohner und Stadt. Scheinbar gleichgültig wurde die Entscheidung über den gesamten Abriss des Bökelbergs wahrgenommen. Wenn im Sommer 2006 Hunderttausende Gäste aus allen Herrenländern unser Land besuchen, werden sie in Mönchengladbach vor einem großen Haufen Schutt stehen. Tonnen von Kies und Stein. wo einst Fußballer-Legenden den Fußball zelebrierten. Hennes Weißweiler würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass die Fohlen-Elf sich inzwischen mit einer grauen Plastikschale als Ersatz für seinen Bökelberg angefreundet hat. In absehbarer Zeit wird der Bökelberg aus den Herzen der Fans verschwunden sein und lediglich die Erzählungen von Büchsen-Würfen, Manolo oder krachenden Torpfosten werden die Kultstätte in Gedanken am Leben erhalten.

Bye bye Bökelberg. Ein Gästefan nahm traurig Abschied von Dir und einem Stück Kulturgut der Bundesliga.

- 02.01.2006

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