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"Was habt ihr aus Sechzig München gemacht?" (Teil 2)

Der 27. April dieses Jahres geht in als schwarzer Tag in die Vereinsgeschichte der traditionsreichen Löwen aus München ein. Auf einer Pressekonferenz in der Allianz Arena verkünden Vertreter von 1860 und des FC Bayern, was zuvor schon seit Tagen durch die Medien geisterte und von vielen Anhängern der Blauen als das absolute Horrorszenario angesehen wird: Der FC Bayern kauft seinem Partner dessen 50% Anteile am gemeinsamen Stadion für 11 Millionen Euro ab und hält fortan einhundert Prozent der Anteile an der Allianz-Arena.

Die Löwen brauchten dieses Geld dringend, denn ohne diesen Deal hätte die ausgegliederte Fußballabteilung laut Finanzgeschäftsführer Dr. Ziffzer nur wenige Tage später Insolvenz beantragen müssen, was möglicherweise den ganzen Verein mitgerissen hätte. So bleiben die 60er am Leben, dank der Roten, dank des ungeliebten Lokalrivalen, der diesen Akt lediglich deshalb vollzogen hat, weil ein Wegfallen des Stadionpartners auch für den finanziell potenten FC Bayern durchaus ein Problem dargestellt hätte.

Durch jahrelange Misswirtschaft und die immensen Fixzahlungen für die Allianz Arena steht der Verein nun am Abgrund. Die ?Ewiggestrigen?, die schon bei Planungsbeginn des neuen Stadions Bedenken angemeldet hatten haben nun doch recht gehabt. Der TSV 1860 ist nach lediglich einem Jahr nur noch Mieter in der Allianz Arena.  Die Finanzspritze der Bayern ist für die Löwen an folgende Vertragsklauseln gebunden: Binnen vier Jahren hat der TSV 1860 ein Rückkaufrecht für die 50% der Anteile, zu den 11 Millionen Kaufpreis bei einem Zinssatz von 6,5%. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kämen dazu noch Ausgleichszahlungen, da im Vertrag ebenfalls vereinbart ist, dass der zu zahlende Business Seat-Fixbetrag für die Löwen, sollten sie ab 2008/09 immer noch zweitklassig sein, von 3 Millionen auf 500.000 Euro reduziert wird. Grob geschätzt müsste der Verein wohl zwischen 15 und 18 Millionen für den Rückkauf aufbringen. Für die kommende Saison ist bereits eine Anhäufung des Schuldenbergs von aktuell etwa sieben Millionen Euro Verbindlichkeiten auf dann rund zehn Millionen abzusehen. Wie realistisch es ist, dass die Löwen drei Jahre später in der Lage sein werden, 15 Millionen zum Rückkauf aus dem Hut zu zaubern, kann man sich vorstellen. Laut Vertrag müssen die Löwen zwanzig Jahre in der Allianz Arena spielen. Voraussichtlich neunzehn davon nun als Mieter des FC Bayern.

Im Lager der Löwenfans ging es wild her nach Bekanntgabe dieses Deals. Vereinsaustritte, Stadionboykotte, faule Eier flogen, wenn auch nur vereinzelt, Richtung Geschäftsstelle an der Grünwalder Straße. Für viele Fans war schon allein durch die Tatsache, überhaupt mit den Bayern ein gemeinsames Stadion zu realisieren, die Schmerzgrenze erreicht. Nun auch noch von den verhassten Roten gerettet zu werden und von nun an die Heimspiele in einem zu 100 Prozent roten Stadion austragen zu müssen, das ging und geht vielen eindeutig zu weit. Zu recht.

In Teil I dieses Artikels wurde beschrieben, was die Löwen über viele Jahre hinweg auszeichnete: Eine verschworene Fangemeinde, eine unterstützenswerte Mannschaft auf dem Rasen, ein eigenständiges Image als Arbeiterverein neben dem großen Bayern. Und ein eigenes, traditionsreiches Stadion. Davon ist nichts mehr übrig. Die Mannschaft hat sich als charakterloser Haufen blond gefärbter Möchtegern-Youngsters herausgestellt, die Fangemeinde ist heillos zerstritten, man ist Mieter bei den Bayern und wenn man überhaupt noch ein eigenes Image hat, dann ist es, wie Spötter oft anmerken, das des FC Bayern Light. Und das Gefühl, welches einem schon in den letzten tristen Jahren im Olympia Stadion zumindest immer noch ein bisschen das Gefühl gab, bei den Löwen richtig zu sein, nennen wir es mal pathetisch den ?Löwenstolz?, ja dieser wurde den Fans mit dem Verkauf an den FC Bayern auch noch genommen. Es bleibt der Löwe tief im Herzen, aber es geht ihm schlecht, 1860 scheint am absoluten Tiefpunkt angekommen.

Wie gehen die Fans mit dieser Situation um? Wie allgemein in der Fanszene der Löwen gibt es auch hier verschiedenste Ansichten. Die einen, die ohnehin noch nie einen Fuß in die Allianz Arena gesetzt haben, werden dies auch weiterhin nicht tun. Hier muss man zwischen den ?Total-Verweigerern?, die mit 1860, so wie es sich aktuell präsentiert weitestgehend abgeschlossen haben, und den  ?Arena-Verweigerern? unterscheiden, die zumindest noch mit auf die Auswärtsspiele fahren und gelegentlich die Heimspiele der Zweiten Mannschaft im Stadion an der Grünwalder Straße besuchen. Die Zahl der ?AA-Verweigerer? wird aber weiter steigen, da es für viele Fans schlicht im Bereich des Unmöglichen liegt, alle zwei Wochen in das Bayernstadion zu ?Heimspielen? von 1860 zu pilgern. Dann gibt es die Sorte Fans, die sich sagen ?jetzt erst recht? und auch in der kommenden Spielzeit wieder nach München Fröttmaning gehen werden um die Spiele ihrer Löwen zu besuchen. Und dann gibt es natürlich die, die unabhänig von Stadion, Spielklasse und sonstigen Kriterien schon immer zu den Löwen gegangen sind, ?weil?s hoid die Löwn san?.

Es ist die ureigenste Entscheidung eines jeden Löwenfans, wie er mit dieser Situation umgeht und welche Konsequenzen er daraus zieht. Leider können das viele Fans nicht anerkennen und werfen Anhängern, die eine andere Entscheidung wie sie getroffen haben vor, sie seien keine oder schlechte Löwen, würden mit den Roten kuscheln oder seien zu Event-Fans mutiert. In einem ist man sich jedoch einig: der aktuelle Zustand, die Rettung durch den Erzfeind, nach nur einem Jahr Mieter in der Arena und die neue ?Brüderliche Verbundenheit? zwischen Blau und Rot, wie es Franz Beckenbauer formuliert hatte, das ist für das Löwenherz wirklich unerträglich.

Die Tage nach der Bekanntmachung des Deals sind bei den Löwenfans geprägt von Frust, Wut und Enttäuschung. Am besten lies sich dies im Internet erkennen. Da wurde auf dem Diskussionsportal www.loewenforum.de, welches von der Süddeutschen Zeitung unlängst als ?Herz der Löwenfans? bezeichnet wurde, flugs eine Todesanzeige für den geliebten TSV entworfen. Tags darauf tauchten alle bedeutenden Seiten über die Löwen im Internet ihr Layout in für jedes Löwenauge grässliches Rot. Nur der Internetauftritt der ARGE, Karl-Heinz Wildmosers einstmaliger Hausmacht, blieb blau.

Auch auf der Jahreshauptversammlung drei Wochen später entlud sich bei vielen Löwenfans der Frust. Diverse Wortmeldungen, kritische Fragen und Anträge, Ablehnung des Versammlungsleiters, Nicht-Entlastung des Schatzmeisters ? die Stimmung war aufgeheizt. Erst Recht nach Peter Englerts halbstündiger Rede. Englert war vor Jahren Vizepräsident bei 1860, momentan ist er ohne Funktion im Verein und an sich nie als großer Kritiker Wildmosers in Erscheinung getreten. Doch nun, da ihm dieser in der Versammlung nicht mehr in Reihe eins gegenübersitzt hat er offenbar den Mut gefunden, endlich auf den Putz zu hauen. Lassen wir hier einfach die Wortwendung ?besser spät als nie? walten, auch wenn sich Englert nach der Rede mitunter als ?Wendehals? titulieren lassen musste.

Seine Rede ist gut aufgebaut und trifft direkt ins Herz der anwesenden Fans. Gut hinterlegt mit Zahlen und Fakten rechnet er mit dem ?Regime Wildmoser? und dessen Gefolgsleuten ab: ?Wo waren die Aufsichtsräte?? will er wissen und lässt Richtung selbiger verlauten ?Unwissenheit schützt vor Strafe nicht?. ?Wer sich nur ein Reihenhaus leisten kann, baut sich keine Villa!? Er erläutert, dass Wildmoser den Verein im März 2004 mit einem immensen Schuldenberg an Nachfolger Auer übergeben und dass Karl-Heinz Wildmoser Junior, seines Zeichens gelernter Hotelkaufmann und nie im Besitz eines eigenen Schreibtisches geschweige denn eines Büros bei 1860, seinerzeit clever vom Herrn Papa installiert bis zu 250.000 Euro jährlich in verschiedenen Funktionen bei den Löwen verdiente. Weiter forderte er ?eine lückelose Überprüfung der Ära Wildmoser durch unabhängige Wirtschaftprüfer.? Die Löwenseele kocht und Englert erhält für seinen beherzten Beitrag minutenlang stehende Ovationen. Nach der Sitzung ist man sich einig: das war wieder wesentlich mehr Sechzig München als bei den Versammlungen in den Jahren zuvor, als jegliche Aktivität des Vorstandes bedenkenlos abgenickt und den wenigen Gegensprechern das Mirkofon abgenommen wurde.

Doch wie wird die Zukunft der Münchner Löwen aussehen? Im September haben die Delegierten die Aufgabe, das Präsidium zu bestellen. Nach der Auszählung der Wahl der Delegierten ist klar: Die Zeiten einer ARGE-Vormachtstellung bei den Delegierten ist vorbei, das aktuelle Präsidium könnte es unter Umständen schwer haben, bestätigt zu werden. Wie auch immer der Vorstand nach der Wahl aufgestellt sein wird, Anlass zu einem gewissen Optimismus gibt das neue Duo Stefan und Stefan, gemeint ist Reuter auf der einen Seite, Ziffzer, mit Doktorwürden, auf der anderen. Nicht dass Stefan Reuter sich bereits durch große Spielertransfers hervorgetan hätte, aber allein die Tatsache, dass eine renommierte Größe des Fußballs den Managerposten bei 1860 innehat, ist Anlass zur Hoffnung. Zu sehr stecken vielen Löwenfans noch seine wenig glücklichen Vorgänger Duffner und Kneißl in den Hinterköpfen. Für den finanziellen Bereich wurde der als erfolgreicher Sanierer bekannte Dr. Stefan Ziffzer zu den Löwen geholt und hält bislang, was seine Vita ? unter anderem sanierte er erfolgreich den Fernsehsender DSF - verspricht. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wurde Transparenz und Ehrlichkeit in die Vereinfinanzen gebracht. Außerdem tut sich Dr. Ziffzer positiv hervor, indem er stets ein Ohr für die Fans hat, mit ihnen den Dialog sucht und sogar zugesagt hat, an einer Diskussionsrunde bezüglich der Stadion-Frage teilzunehmen.

Auch die Mannschaft muss ihren Teil dazu betragen, dass es bei den Löwen wieder bergauf geht. Der Kader wird ausgedünnt, Flops wie Stefan Reisinger, Emu Krontiris oder Slobodan Komljenovic verlassen den Verein. Neben Torwarttalent Timo Ochs, der zu Red Bull Salzburg wechselt, wird noch der eine oder andere Perspektivspieler, für den es eine Ablöse geben wird, den Verein verlassen. In Greg Berhalter und Danny Schwarz wurden zwei erfahrene Spieler geholt, von welchen man sich erwartet, dass sie auch bei 1860 Führungspositionen übernehmen. Von Rostock wechselt di Salvo an die Isar, vom Aufsteiger FC Augsburg kommt Markus Thorandt. Allesamt keine großen Namen, aber alle haben bereits bewiesen, dass sie Kämpfernaturen sind. Wenn es Trainer Schachner und Manager Reuter gelingt, eine willige Mannschaft zusammenzustellen die sich gegebenenfalls auch einmal den Allerwertesten aufreißt, dann werden die Löwen kommendes Jahr einen sicheren Mittelfeldplatz erreichen können. Alles darüber hinaus anzunehmen wäre vermessen. Es wird, wie Stefan Reuter schon richtig gesagt hat, ein Jahr der Konsolidierung werden.

Die allgemeine, langfristige Entwicklung des Vereins hängt sehr stark von der Ligazugehörigkeit ab. Nur in der ersten Liga ist es unter Umständen möglich, die hohen Kosten für den Spielbetrieb in der Allianz Arena zu decken. Gelingt in den nächsten drei Spielzeiten der Aufstieg und wird weiter der vernünftige, jetzt eingeschlagene Kurs gefahren, dann stehen die Chancen nicht schlecht, sich in der Bundesliga zu etablieren. Was passiert wenn die Löwen über Jahre hinweg nicht aufsteigen oder sogar noch eine Klasse tiefer antreten müssen ? keiner kann und mag es sich ausmalen.

Der TSV 1860 München hat sich schon einmal aus dem Schlamassel gekämpft und sich danach in der Bundesliga etabliert. Vielleicht gelingt es wieder. Auch wenn Braunschweig, Offenbach und Karlsruhe durchaus ihre Reize haben, Hamburg, Frankfurt und nicht zuletzt Dortmund sind schon ein anderes Kaliber. Es wäre schön, wenn die Löwen-Anhänger in absehbarer Zukunft wieder dorthin reisen dürften. Und bei einer Jahreshauptversammlung könnte man dann rückblickend bis auf das Jahr 2006 sagen, diesmal allerdings mit stolzer Brust: ?Wahnsinn, was habt ihr aus Sechzig München gemacht!?

, 09.06.2006

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