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Sommermärchen, Rassismus und Russen

Sind das am Samstag beim Länderspiel in Rostock wirklich leere Sitzplätze gewesen oder sind wir TV-Zaungäste nur einer ungünstigen optischen Täuschung aufgesessen?

Während vor mir ein knapp zweijähriger Kölscher Jung aufgepuscht durch den bläulich schimmernden Inhalt zweier Power-Drinks mit Nuckelöffnung (?Wie da ist Koffein drin??) auf einem Bagger ständig durchs Bild raste, blickte ich erstaunt auf ein halb leeres Rostocker Ostsee-Stadion (hat noch keinen Sponsoren-Namen, oder?). Blaue Sitzschalen haben sie da, logisch Hansas Farbe, dachte ich im ersten Moment und dann: Ähhhh????!

Ist doch Länderspiel, ist doch ein verhältnismäßig kleines Stadion, ist doch Rostock. Und dann nicht ausverkauft? Was ist denn da los? Hat die Polizei in der Woche vorher alle potentiellen Rassisten ? nach einer ordentlichen Gefahrenansprache natürlich ? in Haft genommen? Man weiß ja schließlich nie. Am Ende passen ihnen die schwarzen Haare vom Jogi nicht und schon geht ein lautes Uhuhuhuh-Affenraunen durch die Menge. Kann man sich nicht leisten, klar. Aber kann man sich andererseits bei der Polizei im Osten eigentlich auch nicht so richtig vorstellen. Ist ja schließlich keine Mai-Demonstration in Kreuzberg. Aber vielleicht war die erste Halbzeit einfach so bescheiden, dass die Zuschauer zur zweiten schlicht und ergreifend nicht mehr wieder gekommen sind? Nach dieser durchweg so wundervoll begeisternden und spielerisch so wertvollen WM mit klasse Superstars wie diesem Trio Ronaldo und Ronaldinho und ähh und den anderen, kann man leicht schon mal bei dieser gebotenen Hausmannskost die Lust verlieren. Ist doch nur allzu verständlich, oder?

Naja, irgendwo zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird die Antwort wohl verborgen liegen. Denn auffällig war, dass vor allem die Plätze, die eine gewisse Nähe zu den Tränken und Essensausgaben für die VIPs auswiesen, nach der Pause unbesetzt blieben. Ist aber auch zu geil, was der DFB sich da wieder an exotischen Spezialitäten ausgedacht hat. Bananensouffle an Orangen-Ananascreme. Echt knorke. Und wenn es beim nächsten Mal auch auf den billigen Plätzen unter den Tribünen Champus + Shrimps für lau gibt, dann sollen die Herren Fußballer mal sehen, wie sie ohne Stimmung ihre Leistung abrufen können. Die Rostocker Zuschauer gucken derweil auf den sicherlich unter der Tribüne installierten TVs (ist doch bestimmt eine FIFA-Vorgabe inzwischen, oder?) ein bisschen auf das Spiel und noch viel mehr zu der Bühne mit den Ten Tenors drauf, die Deutschland-Fahnen schwenkend in einer Tour die Nationalhymne schmettern?Ich sag nur schwarz-rot-geeeiiiilllll!


Der Besuch der alten Dame. Bekommt Schalke von den Russen 125 Millionen tatsächlich nur für ein bisschen Trikotwerbung?

?Dat is hier Ruhrgebiet, da haben die Russen nichts verloren!?, trompeten einige Schalker Fans in den letzten Tagen nach dem öffentlich gewordenen Gazprom-Angebot herum und vergaßen dabei, dass die Herren, denen sie ihre Begeisterung für diesen Kult-Verein verdanken, in den dreißiger Jahren nun auch nicht gerade alle aus Buer stammten. Gut, Russland ist noch ein bisschen weiter östlich, aber dass dieses Argument (übrigens ebenso schwachsinnig vom BVB-Watzke angeführt) nahe am gerade wieder auflebenden niederträchtigen Rassismus liegt, braucht man wohl nicht weiter ausführen. Oder wo kamen die beiden Pott-Kicker Valdez und Rafinha gleich noch einmal weg?  
Und dass EON und RWE mit ihren ausufernden Strompreisen die Verbraucher auch nicht gerade zu BVB oder noch aberwitziger zu Bayer-Fans werden lassen, ist doch ebenso klar, oder?

Aber auf Schalke hat sich der Besuch der alten Dame (ist bei F. Dürrenmatt ne Omma aus Amerika, die ein ganzes Dorf mit ihrer Kohle kirre macht) angesagt und schon bald (Januar! Wie dreckig muss es Schalke eigentlich gehen?) wird nicht nur ein neuer Name auf den Trikots erscheinen, sondern auch ein kleiner, böser Geist auf der Geschäftsstelle in Gelsenkirchen. Natürlich wollen die Verantwortlichen davon im Moment nichts wissen ? und ehrlich gesagt, darf man befürchten, sie wissen auch tatsächlich noch nicht, was auf den FC Schalke 04 zukommt. Chelsea und Red Bull Salzburg werden die neuen Vorbilder für den kleinen Arbeiterverein aus Buer werden. Wer jetzt als Fan ein breites Grinsen ? ob der neuen und sicherlich bald in Königsblau spielenden Superstars wie Ballack, Drogba oder Zickler (wie kann ein Mann mit Geld so einen Spieler verpflichten?) ? in sein Gesicht zaubert, der sollte mal genauer hinschauen. Wer da noch von Seele spricht (eh ein ziemlicher ausgelutschter Begriff in diesem Zusammenhang), der muss von Sinnen sein.

Der Fußball ? nicht nur aber gerade auch auf Schalke ? hat jegliche Ursprünglichkeit eingebüßt. ?Da geht es doch nur noch ums Geld?, hört man dieser Tage von frustrierten Fans immer wieder. Das stimmt nicht ganz, ein bisschen Herzblut ist wenigstens bei den meisten Profis noch dabei, aber dass der Fußball zum Spielball des Kommerzes und der Unterhaltungsindustrie geworden ist, wird niemand mehr leugnen und niemand wird diesen Prozess noch aufhalten können. Die einzige ?Rettung? ist die totale Teilnahmslosigkeit von Konsumenten (ehemals Fans oder Anhänger genannt) oder der absolute Supergau (oder Erlösung) ? der Absturz des Systems Fußball. Im Moment wird es wohl auf die Eins hinauslaufen?

Sollten Klinsmann und Schweinsteiger nach Wortmanns ?Sommermärchen?-Film in die TV-Comedy wechseln?

Das ist schon klasse, was man da in Sönke Wortmanns WM-Film geboten bekommen hat. Wer glaubte, dass wenigstens im Klinsmann-Fußball-Deutschland die Traineransprachen sich irgendwie vom Niveau her von denen der unteren Bezirksligen unterscheiden, der sah sich temperamentvoll und nachhaltig getäuscht. ?Volle Power Motivation? und ?Der hat es drauf?, hörte ich drum auch zwei Teenager im Deutschland-Trikot hinter mir begeistert ausrufen. ?Denen müssen wir auf die Fresse geben" und wenn wir wirklich mal verlieren sollten, dann schon gar nicht ?gegen die Polen?, sagte der Super-Klinsi und überbot damit sogar noch locker den französischen WM-Trainer von 1998, Aime Jaquet, der seinen Spielern ebenfalls stundenlang im Film Les yeux dans les bleus vorpredigte, dass die anderen meinen würden, ?das wäre ihr Spiel? und man müssen es ihnen ?entreißen?. Naja, wem das Spiel nun am Ende gehört ? und das sollten sowohl die Spieler wie die Trainer wissen ? ist hinlänglich bekannt. Deshalb wirkt es fast schon ein wenig kindisch, wenn Klinsi, Poldi und Schweini glauben, man könnte Abramowitsch und Blatter den Ball mit so ein paar übermotiviert ausgetragenen WM-Matches entreißen. Egal.

Aber als studierter Lehrer mit leidvollen Stunden der Berufserfahrung habe ich trotzdem auch ein Stück mit Klinsmann und Bierhoff gebangt. Diese ständigen Ansprachen vor einer Horde von lernunwilligen Menschen ist schon eine spezielle Herausforderung. In einer Szene sieht man den Teamchef - nach einem kurzen, aber tiefen Durchatmen - den Raum mit einem langen Schritt betreten. Oh, habe ich gedacht, dass kenne ich: Jetzt fällt dir eigentlich nichts mehr ein, niemand vermisst dich im Raum und trotzdem musst du rein und irgendetwas sagen. Tja, und dann kommt eben so etwas bei rum, das man, völlig beeindruckt und schockiert zugleich, hören durfte. Lehreralltag. Mach das mal vierzig Jahre am Stück. Kein Bock drauf? Kein Plan, wie das funktioniert? Eben. Fand ich wirklich ehrlich und fair von Klinsmann zurück in die USA zu fliegen. Ich hätte das auch nicht gepackt. Aber ich bin ja auch kein Lehrer mehr?

Und Schweinsteiger wird nie einer werden, da bin ich sicher und er steht vom Alter her natürlich auch noch mehr auf der anderen Seite, aber sein Comedy-Talent hat er nachhaltig in der Doku unter Beweis gestellt. Wenn es noch die tollen Lausbuben-Filme á la wir ?Wir hauen die Pauker in die Pfanne? gäbe, dann wäre Schweini gesetzt. Sein Einsatz beim Besuch der Kanzlerin, ?Bitte Steuersatz senken, Frau Merkel?, war nicht nur urkomisch, sondern hatte auch was von einer improvisierten Slapstick-Einlage. Können auf dem Niveau nur ganz wenige. Aktuell fällt mir nur noch der Stoiber ein, aber der hat mit seinen Problembären (immer noch auf Eis!) und seiner Muschi (Kosename der Ehefrau) schon genug um die Ohren?

Ben Redelings, www.scudetto.de

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