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Herbert und der VfL: Peinlicher Einblick in ein verletztes Herz

Warum motiviert ein Herbert Grönemeyer die Fans bis in die Haarspitzen und produziert bei den Spielern nur ein laues Lüftchen?

Samstag, 14.10.2006, Bochumer Ruhrstadion, 15.25 Uhr. Ein Stadion singt ?Bochum?. Wie ?ein Mann? sagt man. Herbert Grönemeyer reiht sich ein in eine stabile Mauer. Alle sind bereit, alles zu geben. Werder Bremen wird nicht einen Meter des Platzes ohne Kampf bekommen; soviel ist sicher. Schickt man heute den Kollegen rechts von mir aufs Spielfeld, es wird böse enden für die Werderaner. Auch die Kollegen links neben, unter und über mir haben einen entschlossenen Gesichtsausdruck: Lange genug haben wir gelitten, heute wird zurück geschossen.

Ruhrstadion Bochum, 15.33 Uhr. In wenigen Augenblicken wird bereits das erste Tor für die Bremer fallen. Doch schon jetzt ist klar, der VfL Bochum vereint eine Ansammlung von Schisshasen in seinen Reihen. Spieler, die von der - in letzter Zeit so häufig zitierten - Körpersprache her aussehen, als ob ein Riese ihnen in der Kabine mit der Atombombe gedroht habe. Nichts von dem angekündigten ?bedingungslosen Kampf? oder den anderen vorher geäußerten, ähnlichen rhetorischen Plattheiten. Der Kollege rechts neben mir wird am späten Abend und nach mehreren Frustbierchen immer noch völlig irritiert den Kopf schütteln: ?Ich hätte heute mein letztes Hemd gegeben. Meinetwegen hätte ich vor aller Augen gekotzt, mir einen Wadenkrampf nach dem nächsten geholt oder wäre vom Platz geflogen, aber doch nicht so etwas. Die haben uns verarscht. Die haben nichts kapiert.?

Mein Bruder würde an dieser Stelle zur Verteidigung der Spieler und in Sorge um ihren seelischen Zustand sagen: ?Denkt dran, dass sind nur Menschen?. Aber das ist Quatsch! Jeder hat mal einen schlechten Tag und ja, natürlich KANN man gegen Werder Bremen auch einmal verlieren, aber erstens nicht so und zweitens nicht an diesem ganz speziellen Nachmittag.

Wir haben alle mal Fußball gespielt. Die einen etwas besser, die anderen etwas schlechter. Aber deshalb wissen wir eben alle auch, was man macht, wenn man erkennt, dass man eigentlich keine Chance hat: Man kämpft. Man rennt sich die Lunge aus dem Hals. Man macht den Gegner mürbe. Vorher hat der Trainer oder Spielführer irgendetwas Hässliches wie ?Hurensöhne?, ?Sausäcke? oder ?die wollen uns ficken? gerufen und damit so ein bisschen typische Fußballstimmung geschaffen ? eben ganz wie bei den Großen um Chef Klinsmann. Doch am Samstag hat man wieder einmal gesehen, dass die Zeiten vorbei sind, wo die Spieler der eigenen Mannschaft aus der Region kamen und sich schon deshalb Mühe gaben, weil sie kurz vorher noch selbst auf der Tribüne standen. Scheiß auf die Plattheiten, die sich im Kopf mit jedem Jahr mehr auf dem eigenen Lebenskonto festsetzen: Lameck, Woelk, Benatelli und wie sie alle heißen, hätten sich nicht nur wie ein Zdebel ?geschämt?. Sie hätten sich vorher den ?Arsch aufgerissen? ? und dann wären sie mit Applaus nach Hause geschickt worden. Wer etwas anderes behauptet, der hätte am Samstag 15.30 Uhr meinen Kollegen rechts, links, unter und über mir im Bochumer Ruhrstadion ins Gesicht gucken sollen. Fußball kann ganz einfach sein?  

Warum ist das ?System Koller? in Bochum gescheitert, selbst wenn der VfL in dieser Saison noch deutscher Meister werden sollte?

Nach einem solchen Wochenende hat man irgendwann keine Lust mehr, das Spiel seines eigenen Vereins distanziert zu analysieren. Das ist eine eigenartige Regung des Gehirns, vielleicht eine Art Selbstschutz. Man will nicht mehr über Bönig (?das Grausame ist, er spielt mittlerweile tatsächlich fast am besten in dieser Mannschaft?), Joris van Hout (?eine Frechheit und ein Eklat, dass dieser Mann noch Erstligafußball spielen darf?) oder das lethargische Spiel eines ganzen Teams sprechen. Man wendet sich nun den zu erwartenden und folgerichtigen Handlungen zu und begnügt sich damit, den Kopf des Trainers oder den Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden zu fordern. Mir geht es da ganz genauso.

Am Samstag hatte ich mir überlegt, einmal ganz haarklein zu zeigen und damit zu beweisen, dass die Fans nicht weniger ?gescheit? (der Vorsitzende Altegoer spricht den Anhängern eine gewisse Geistesfrische ab, weil sie die Entlassung von Koller forderten) sind, als all die allwissenden professionellen Beobachter, die immer noch die Lage zu beschwichtigen versuchen. Das von Anfang an wenig überzeugende und unattraktive System des Schweizer Trainers Koller sollte dabei ? inklusive seiner eigenartigen Spielerneuverpflichtungen ? genau auseinander genommen werden. Doch nun fehlt mir die rechte Lust dazu. Ich will einfach nur noch, dass wir wieder stolz sein können auf diesen Verein. Das Mitleid, das uns momentan widerfährt, ist nicht mehr auszuhalten. Und an all die Dinge, die am letzten Samstag passiert sind, will ich nun nicht mehr denken müssen.
Beendet diese scheußliche Lethargie, dieses unendliche Dahinsiechen in Bochum. Schnell! Schmeißt Koller und ein paar Spieler raus und dann reißt euch endlich den Arsch auf. Mehr als Kämpfen hat man in Bochum ? bis auf ein paar schöne Ausrutscher - nie gefordert. Also reißt euch zusammen! Und wenn gar nichts mehr geht, verhindert doch bitte wenigstens die ?Doppelpässe? des Gegners. Ich denke, dann wäre nicht nur Herbert G. schon zufrieden.
- Die konkrete Beantwortung der Frage musste leider ausfallen, da Herr K. niemals mit Bochum deutscher Meister werden wird. ?

Gibt es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen der aktuellen, häufig miserablen Rasenbeschaffenheit und der Attraktivität des gespielten Fußballs?

Leider nein. Genauso wenig übrigens wie bei der Auswertung der Frage, ob die medizinischen Gegebenheiten im Umfeld eines Klubs den Erfolg eines bestimmten Ruhrgebietsvereins gegen Werder Bremen positiv beeinflussen können. Wie viele überregionale Berichterstatter in letzter Zeit voller Anerkennung festgestellt haben, sind die äußeren Rahmenbedingungen in Bochum wohl auf einem erstaunlich hohen Niveau. Man spricht von der Champions League in diesem Zusammenhang. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) schaffen es die VfL-Kicker in dieser Saison nicht, den Erwartungen gerecht zu werden. Unter Umständen werden deshalb, so munkelt man, in Bochum demnächst das Stadioncenter, der beheizte Kunstrasenplatz, das Ärztecenter und einige andere Annehmlichkeiten wieder abgebaut. Man will eine Malocher-Atmosphäre schaffen, die es den Spielern erleichtert, den geforderten ?Einsatz auf dem Platz? zu zeigen.

In der nächsten Woche dann wieder ? nach diesem völlig unbeabsichtigten VfL-Spezial mit einem Seelentiefblick voller engstirniger Peinlichkeiten - die gewohnte Rubrik ?Die 3 Fragen der Woche?.

Ben Redelings, www.scudetto.de

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