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Werder, Krawallbrüder und Daniel Simmes

Ist Werder Bremen so gut oder die Liga so schlecht?

Hervorragende Frage und gar nicht so leicht zu beantworten. Erlauben Sie mir deshalb eine Gegenfrage? Was für einen Scheiß spielen sich eigentlich Schalke, Dortmund, Bayern etc. in der Regel zusammen? Was ist da los? Und warum kann man die Partie zwischen dem VfL Bochum und dem VfL Wolfburg mit durchschnittlichen Kriterien eines durchschnittlichen Fußballsachverstandes überhaupt gar nicht mehr als echten Fußball werten?

Es muss einem Angst und Bange werden, wenn man sich dieser Tage die Qualität des Spiels in den bundesdeutschen Arenen anschaut. Katastrophenfußball wohin man sieht. Die einzige und wohltuende Ausnahme stellt im Moment der SV Werder Bremen dar. Aus einer mehr als kompakten Abwehr treibt ein flexibles Mittelfeld den Ball den Stürmern in die Füße. Es wird rotiert, gepasst und gespielt, dass es eine wahre Freude ist. Naldo, eigentlich Abwehrspieler, trägt sich nach Belieben in die Torschützenliste ein und Klose hätte beinahe 10 Spiele nicht mehr getroffen und kaum einer hätte es gemerkt. Doch was ist in Bremen anders als anderswo?

Ins Auge springt einem natürlich sofort die Aktion am Anfang der Saison, als es eigentlich sehr gut anfing und der neue Mittelfeldstar Diego schon vom Boulevard zum neuen Maradona erklärt wurde. Doch dann passierte etwas ganz Entscheidendes: Frings und Klose demontierten Diego öffentlich und brachten ihn damit auf den Boden der Tatsachen zurück. Was folgte, waren zwar ein paar Spiele, die nicht so überzeugend waren und auch verloren gingen, aber das war nur eine Momentaufnahme. Denn viel wichtiger war, dass Bremen seine feste Ordnung schon recht früh in der Saison fand. Ehrgeizige und hungrige Leader wie Frings und Klose ordneten die Neuzugänge in das Gesamtgefüge ein. Eine stabile und vor allem funktionierende Hierarchie war die Folge. Während die Gegner in der Regel noch immer ihr System und ihre Mannschaft suchen, wird in Bremen seit ein paar Wochen bereits Fußball gespielt ? und zwar fast unabhängig davon wie innerhalb des Teams rochiert wird.

In Bochum haben sie sich nach dem 0:6 gegen diese Werderaner die Augen gerieben. Begriffen haben eigentlich nur die wenigstens, wie das passieren konnte. Dabei ist es eigentlich ganz logisch und auf einen Großteil der Bundesligisten übertragbar. In Bochum (und anderswo) hat sich in den letzten Wochen kein echtes Team herausgebildet. Der Torhüter wurde gewechselt, die Abwehr komplett umgeschmissen, das Mittelfeld befindet sich in einem ständigen Umbruch und im Sturm darf sich nur Fabio Junior als Urgestein des VfL in der Saison 2006/07 fühlen (wohl übrigens auch nicht mehr lange). Und eines fällt darüber hinaus in Bochum auf: Philipp ?Pippo? Bönig, ein Spieler der eigentlich schon ausgemustert war, spielt immer, steigert sich von Woche zu Woche und darf sich schon jetzt als einziger Gewinner der Bochumer-Katastrophenära bezeichnen. Und was kann man aus diesem Dilemma lernen? Es schadet erstens nie als Trainer ein System zu haben, das funktioniert, und zweitens sollte man immer schauen, dass im Team eine anerkannte und funktionierende Hierarchie herrscht. Denn Truppen von verantwortungsscheuen Mitläufern gibt es leider in dieser Spielzeit im deutschen Fußball genug?

 

Wiederholt sich die Geschichte: Leere Stadien und Gewalt in den neuen Arenen?

Schon seltsam, dass die Krawallbrüder im Moment wieder solch eine öffentliche Wahrnehmung erzeugen können. Ein ?Gewalt-Gipfel? wurde einberufen und die Angst wächst unter Experten und Funktionären spürbar, dass der Fußball bald wieder dort ankommt, von wo er sich erst seit Ende der 80er Jahre mühsam entfernt hat. Wer den Fußball von damals noch vor Augen hat, der wird sich an wöchentliche Schlägereien, halbleere, renovierungsbedürftige Stadien und an ein Image des Fußballs erinnern, das irgendwo zwischen Schulmädchen-Report und Eckkneipe lag. Asoziale und Proleten standen für einen Sport gerade, der in den 50er und 60er Jahren noch von Männern in Anzügen und Trenchcoats erlebt wurde. Als dann Mitte der 80er Jahre durch Katastrophen wie Heysel oder Hillsborough auch dem letzten Zuschauer klar wurde, dass der Fußball von verwahrlosten Schlägern unterwandert worden war, begann eine einzigartige Umkrempelaktion und Erneuerung des Volkssports Nummer Eins.

Heute gehört der Fußball zum guten Ton. Selbst die ostdeutsche Kanzlerin der Bundesrepublik wird vom Boulevard genötigt, sich zum regelmäßigen Kick-Konsum zu bekennen. VIPs und Erlebnistouristen bevölkern die modernen Arenen und belustigen sich am bunten Rahmenprogramm. Wenn es - sprichwörtlich und bildlich gesprochen ? hart auf hart kommen sollte, werden diese Gäste auf Nimmerwiedersehen das Weite suchen. Hoffentlich sind zu diesem Zeitpunkt noch genug Fans übrig geblieben, die den Idioten die Stirn bieten. In Polen und Italien scheint dieser Kampf erst einmal für die Fußballinteressierten verloren gegangen zu sein?

 

Und wer war noch einmal Daniel Simmes?

Im Oktober 1990 sagt Simmes als 24jähriger Profi beim Karlsruher SC voller Enttäuschung: ?Die Fans machen mich fertig, lachen mich bei jeder Ballberührung aus. Das hat keinen Sinn mehr.?

Noch sechs Jahr zuvor war er der große kommende Star bei Borussia Dortmund gewesen. Gleich in seiner ersten Saison absolvierte er 29 Bundesligaspiele und schoss dabei 5 Tore. Eines davon wird er sein ganzes Leben nicht mehr vergessen: Es war das ?Tor des Jahres? der ARD-Sportschau.

Nach dem Interview vom Oktober 1990 hat Daniel Simmes nie wieder ein Spiel in der Bundesliga absolviert. Nach 166 Einsätzen und 18 Toren war der große Traum vom Fußballstar beendet. Doch sein Name wird aufgrund des ?Tor des Jahres? ewig in einer Reihe mit Fußball-Größen wie Klaus Fischer, Gerd Müller oder Günter Netzer stehen. Und das ist für einen Spieler, der seine Karriere beim DJK Karlsglück Dortmund-Dorstfeld begann, nun auch wieder nicht so schlecht?

Ben Redelings, www.scudetto.de

 

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