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REVIER-Kolumne:

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Wenn das Auge das Gehirn trifft

Aufbruchstimmung bei Borussia Dortmund, Jürgen Klopp und seinem Team sei Dank. Alle Welt redet über ?Kloppo?, kaum jemand über die Männer im Hintergrund. Auch wir reden nicht über sie, sondern mit ihnen: ?Das Gehirn? Zeljko Buvac und ?Das Auge? Peter Krawietz im Interview:

Starten wir mit einem Zitat: ?Als Buvac von dem BVB-Angebot gehört hat, wollte er sofort hierher. Es gab keine Zweifel.?
Waren Sie so schnell überzeugt?

Buvac: Kurz und deutlich: Ja! Der BVB ist der Verein Nummer eins - es gibt in Deutschland keinen anderen, der 80.000 Fans bei Heimspielen hat. Dann die Geschichte, die Tradition des BVB - da habe ich mir gedacht: Das passt zu der Art, wie ich Fußball spielen lassen möchte.

Über Peter Krawietz hingegen heißt es, er brauchte eine Nacht zum Überlegen und einen sanften Anstoß seiner Ehefrau. War das so?

Krawietz: Nein, nicht ganz so. Ich wusste von Jürgen Klopp, dass er den BVB favorisierte, mehr nicht. Bei seiner Verabschiedung in Mainz sagte er mit dann abends zwischen dem zweiten und dritten Bier: ?Übrigens, was wir uns vorgestellt haben, könnte in Dortmund auch von Vereinsseite aus funktionieren?. Und bevor ich aus der losen Zusage eine endgültige Aussage machte, wollte ich einfach mal die Gedanken sacken lassen. Das war die Nacht. Und bei meiner Frau wollte ich wenigstens mal nachfragen, bevor wir weggehen, da wir beide gebürtige Mainzer sind. Ich war mir nicht so sicher, was da kommen würde, aber sie sagte sofort: ?Klar, das machen wir zusammen?.

Sie gelten als Video-Spezialist, man nennt sie ?Das Auge?. Wie wichtig ist es wirklich, in der Halbzeitpause bereits Analysebilder aus der ersten Hälfte zu liefern? Ist in der Hektik dafür wirklich Zeit?

Krawietz: Es ist ein Instrument, das wir uns als Fangnetz installiert haben. Wenn wir grade zu Beginn der Zusammenarbeit feststellen, dass die Mannschaft insbesondere defensiv nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, haben wir so eine Möglichkeit, direkt zu zeigen, was wir meinen, Dann können wir den Spielern sagen: Passt mal auf Freunde, dieser Fehler passiert uns systematisch immer wieder, so geraten wir in Schwierigkeiten. Es ist aber nicht so, dass wir es in jedem Heimspiel einsetzen. Für uns ist es aber ein gutes Gefühl, es zu haben und im Notfall einsetzen zu können. Wir machen es aber nur, wenn wir absolut das Gefühl haben, dass es helfen kann. Denn natürlich ist die Halbzeit eine hektische Veranstaltung, in der schnelle Entscheidungen gefragt sind und keinerlei Zeit für Spielereien ist.

Buvac: Es gibt gewisse systematische Abläufe im Spiel, die sehr wichtig sind. Wenn die nicht so funktionieren wie sie sollen, dann nutzen wir das.

Nehmen wir ein mal konkretes Beispiel, das Spiel in Udine. Wie entsteht die Taktik für so ein Spiel, wer macht was, wie wird sie der Mannschaft nahe gelegt?

Buvac: In Udine brauchten wir an der Mannschaftstaktik nicht viel zu ändern, weil wir zuvor gute Spiele gemacht hatten, da ging es nur um Kleinigkeiten. Generell ist es so, dass unsere Scouts Videos und Informationen liefern, das schauen wir uns an, reden drüber. Jeder macht Vorschläge, dann entscheidet Jürgen. Und weil er so gut reden kann, sagt er der Mannschaft: Jungs, so machen wir?s.

Sie beschäftigen sich seit 1996, seit ihrer Uni-Zeit, mit der Scouting-Arbeit und der Nachwuchssichtung. Wie ist mit Ihrem Einstieg bei der Borussia diese Arbeit neu strukturiert worden?

Krawietz: Scouting umfasst neben der Suche nach geeigneten Nachwuchsspielern oder bereits ausgebildeten Spielern auch die Spielbeobachtung und im speziellen Gegneranalyse. Geändert hat sich für die Scouting-Abteilung durch meine Anwesenheit - hoffentlich - dass es kürzere Wege gibt. Übrigens nicht nur durch mich, sondern durch das gesamte Trainerteam. Unsere Scouts wissen, dass es wichtig ist, was sie uns liefern, dass wir alle Informationen sammeln und bündeln wollen. Die Organisation und der Aufwand hier sind schon seit einem Jahr gut strukturiert. Aber die Scouts wissen jetzt, dass ihre Informationen ankommen und verarbeitet werden. Deswegen halte ich sehr engen Kontakt zum Manager der Abteilung Sven Mislintat, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nichts Demotivierenderes gibt, als keine Rückmeldung über seine Arbeit zu erhalten. Es ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit, dass die Leute wissen, dass wir uns das auch ansehen, was sie uns liefern. Sie leisten wirkliche Basisarbeit, auf deren Grundlage wir Entscheidungen treffen.

Reinhard Saftig hat in dieser Aufgabenstellung mal gesagt, Scouting seiin erster Linie dafür da, dem Verein Geld zu sparen. Nachbar Schalke 04 hat zum Beispiel binnen eines Jahres gleich zwei junge Top-Torhüter nach vorne gebracht. Sollte so nicht ein gutes Scouting im eigenen Nachwuchs aussehen?

Krawietz: Klar ist, die Talentsuche ein wichtiger Bestandteil, die jungen Spieler zu finden, die etwas Besonderes sind, und in den Verein zu holen und auszubilden. Wenn ich das schaffe, brauche ich sie nicht Jahre später, wenn sie woanders den Durchbruch geschafft haben, teuer einzukaufen. Und es ist ja so, dass wir als Trainerteam ein Faible für junge Spieler haben und auch den Mut, diese Jungs ins Geschehen zu schmeißen. Und auch ein ganz gutes Auge, wie man am Beispiel Marc Schmelzer sieht. In meiner alten Abteilung bei Mainz 05 ist der uns ins Netz gegangen, wir hatten ihn beobachtet und wollten ihn verpflichten. Hier war es dann eine unserer ersten Amtshandlungen, ihn zum Profi zumachen. Als wir über den Kader sprachen und über einen Linksverteidiger nachgedacht wurde, war mein Einwand: ?Moment - ihr habt einen: Marcel Schmelzer?. Ab diesem Moment war er Mitglied der Profiabteilung, ich glaube sogar zu seiner eigenen Überraschung.

Herr Buvac, über Sie heißt es, sie seine ein medialer Schweiger, der intern wesentlich mehr redet und Einfluss nimmt, als man annehmen würde. Möchten sie das Image des ?medialen Schweigers? an dieser Stelle korrigieren?

Buvac: Ich glaube, dass ich nicht viele Worte brauche, um etwas klar zu sagen. Und ich rede nur, wenn ich etwas zu sagen habe. In unserem Job brauchen wir nicht zwei, drei Leute, die nach außen sprechen. Das soll einer machen, alles andere ist zu viel.

Sie stehen weniger im Rampenlicht als Jürgen Klopp, aber haben Sie den in und über Dortmund immer gern zitierten ?Druck der Öffentlichkeit? schon gespürt?

Krawietz: Darüber machen wir uns keine Gedanken. Jeder von uns hat so viel zu tun, dass er gut beraten ist, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Sicher gibt es ärgerliche Schlagzeilen und die Methoden des Boulevard möchte ich nicht kommentieren. Aber was die Erwartungshaltung der Fans und der Öffentlichkeit angeht: Es gibt keinen größeren Druck als den, den wir uns selber machen. Wir stehen auf und denken an Fußball, wir gehen arbeiten und denken an Fußball, wir bereiten uns eine Woche auf ein Fußballspiel vor und hoffen, dass wir alles reingepackt haben. Mehr Druck geht nicht. Und ansonsten ist es einfach nur geil, wenn man ins Stadion kommt und zuhause die schwarz-gelbe Wand steht und auswärts der Gästeblock die Jungs nach vorn peitscht. Das ist für mich, zumal ich selbst nicht spielen muss, einfach nur Ansporn. Eher eine Form der Verantwortung als ein Hemmschuh.

Klären Sie uns doch mal bitte auf, wie es in dieser Nacht-und-Nebel-Aktion zum Tausch Petric gegen Zidan gekommen ist. Sie hatten Zidan doch sicher schon länger im Auge?

Buvac: Wir kennen ihn gut, sind aber nicht mit dem Vorsatz nach Dortmund gekommen, Zidan zu holen. Aber Mladen wollte schon länger wechseln, weil er in Hamburg wesentlich mehr verdienen kann und der HSV ja auch kein schlechter Verein ist. Das war die Situation: Petric hatte ein Angebot, konnte angeblich das Doppelte verdienen, und wir konnten dafür Zidan im Tausch bekommen. Hinzu kommt das Sportliche: Mit Alex Frei und Petric hatten wir zwei ähnliche Spielertypen. Mit Zidan haben wir einen Tempodribbler bekommen, der viel läuft und auch Tore machen kann.

Der Transfer hat unser Fußball-Vokabular um den schönen Begriff ?Tempodribbler? erweitert, früher hieß sowas noch rechter oder linker Läufer, doch diese Bezeichnungen sind längst in er Versenkung verschwunden. In Bremen war zu sehen, dass Zidan das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen beginnt.

Krawietz: Wir kennen Zidan ja gut, es ist relativ einfach zu erklären: Er ist ein Mensch und Spielertyp, der umso besser funktioniert, je mehr Nestwärme er hat. Seine Spielweise ist so angelegt, dass er immer hundert Prozent ins Risiko geht. Wenn er einen schlechten Tag hat, nicht in Form ist oder zu wenig Selbstbewusstsein hat, dann macht er eben ein Spiel wie das gegen Schalke. Aber Zidan hat die Fähigkeit, viele Gegenspieler auf sich zu ziehen und sich trotzdem durchzusetzen, er ist ein Spieler, der begeistert. Wir sind uns ganz sicher, dass wir alle hier noch sehr, sehr viel Spaß an diesem Menschen und an diesem Spieler haben werden.

Unsere Leser interessiert insbesondere die konkrete Aufgabenverteilung im Trainerstab. Wer macht was auf und neben dem Trainingsplatz?

Krawietz: Wenn der Trainerstab auf Reisen geht ? bin das in der Regel ich. Sei es, Spieler anzusehen, Gegner zu beobachten oder Informationen unserer Scouts zu prüfen. Eine weitere Aufgabe ist es, nach dem Spieltag die Spielnachbereitende Sitzung vorzubereiten. Auf der Tribüne werde ich oft gefragt, ob das Schreibbrett an meinem Arm festgewachsen ist, weil ich sekundengenau aufschreibe, was wann wo passiert ist. Das brauche ich zur Vorbereitung auf die ausführliche Videoanalyse zwei Tage nach dem Spiel. Und natürlich fragt man sich dann auch mal, was macht eigentlich der Gegner, wie könnten wir?s angehen? Diese Sitzung bereite ich auch vor. Alle Informationen sammeln und dann überlegen, welche Informationen braucht die Mannschaft, um das Gefühl zu entwickeln, den Gegner schlagen zu können.

Die Süddeutsche Zeitung hat mal 2005 geschrieben: ?In Wahrheit aber ist Klopp nur eine Art Ablenkungsmanöver. Die Wahrheit hinter Klopp heißt Zeljko Buvac."

Buvac: Ich weiß nicht, ob das ein Freund vom Trainer geschrieben hat.

Ich ergänze: ?Zeljko ist der Fleisch gewordene Fußballsachverstand, ich lerne jeden Tag von ihm?. Das hat der Cheftrainer gesagt.

Buvac: Dann muss es ja stimmen. Im Ernst: Das ist natürlich nett zu lesen. Wir arbeiten eben prima zusammen und Kloppo ist ein Typ, der nichts versteckt. Und dann kriege ich halt auch mal so ein Kompliment.

Kein Licht ohne Schatten: Was missfällt ihnen an der Arbeit beim BVB, was muss sich ändern?

Krawietz: Erstmal gar nichts. Wir können noch viel verbessern, das ist es, was uns antreibt. Schön ist es zu beobachten, dass wir nach unserer eigenen Definition erst am Beginn einer Entwicklung stehen und schon vieles auf den Weg gebracht haben. Es ist aber auch so, dass wir ständig Dinge entdecken, an denen wir uns noch richtig austoben können. Es gibt so viele Potentiale, die noch ausgeschöpft werden können.

Greifen wir die positive Entwicklung auf: Wo steht Borussia Dortmund in einem Jahr zum hundertjährigen Vereinsjubiläum, wo steht der BVB in drei Jahren?

Buvac: Wenn ich das wüsste, könnten wir Feierabend machen oder Lotto spielen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich wirklich nur Positives sagen. Die Atmosphäre hier ist klasse, die Trainingsplätze sind super, die Jungs sind wirklich willig und haben auch schon bewiesen, dass sie Qualität besitzen. Wo wir in sechs Monaten oder in drei Jahren stehen, kann kein Trainer sagen. Ich wiederhole noch einmal: Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur Positives sagen.

- 22.10.2008
Fotos:

Kurzinfo:

Zeljko Buvac (46) spielt in seiner Heimat für FK Banja Luka. 1991 wechselte der der Mittelfeldspieler zum Zweitligisten Rot-Weiß Erfurt (1991/92), anschließend zum FSV Mainz 05 (1992-1995). Er bestreitet 112 Zweitligaspiele (20 Tore). Danach geht er in die Regionalliga zum SC Neukirchen, beendet dort 1998 seine aktive Karriere und wird Cheftrainer. 2001 holt ihn sein ehemaliger Mitspieler Jürgen Klopp, der inzwischen Trainer bei Mainz 05 ist, als Co-Trainer. ?Zeljko ist Fleisch gewordener Fußballsachverstand und Meister aller Trainingsformen?, sagt Klopp über seinen Co-Trainer.

Peter Krawietz (36) hat keinen Profi-Hintergrund und bezeichnet sich als ?engagierten Amateurfußballer?, Seine Karriere beendet er bereits mit 25. Seit 1996 beschäftigt er sich wissenschaftlich mit dem Thema Videoanalyse, damals noch als Sportstudent der Universität Mainz. So entsteht der Kontakt zum Verein und zu Jürgen Klopp. Aus dem Uni-Projekt wird ein Job, Krawietz arbeitet als Scout und baut nach dem Mainzer Bundesliga-Aufstieg eigenständig die Scouting-Abteilung auf. Auch privat steht er seinem Chef schon mal zur Seite: Krawietz ist Jürgen Klopps Trauzeuge.

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