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Masterkarte

Als am Eingang beim Öffnen der Tore alle Lampen ?Rot? zeigen, hat dies am Dienstagabend durchaus symbolische Bedeutung. Der Ausfall des Eingangssystems spiegelt später im Spiel die Einlasskontrolle der BVB-Abwehr wider. Biedere, aber effiziente Kopf- und Fußarbeit verhindert Tore der streckenweise spielerisch krass überlegenen Gäste von Werder Bremen. Nur vom Elfmeterpunkt aus ist Marc Ziegler schließlich zu überwinden ? aber eben auch nur einmal. Fandel ist eben nur untermittelmäßiger Pianist mit eigener Musikschule, aber im Prinzip ein miserabler Flöter. Vielleicht ist die unmusikalische Bläserei aber einträglicher als das Spiel mit den schlanken Fingern.

Davon ahnen die Zuschauer nichts, als sich gegen 18 Uhr die Stahltore öffneten. Reihenweise strandeten sie anschließend an den Drehkreuzen, weil der Scanner den Barcode auf den Karten nicht mag und auf stur schaltet. Was macht der Fan, wenn er eine gültige Karte hat und dennoch nicht rein kommt? Er mosert, beispielsweise. Seit Jahren kommt er zu diesem ?Scheißverein?, bei dem ?das Fußballspielen ebenso wenig klappt wie die Organisation?. Andere neigen zu hysterischen Lachanfällen, wo es doch nichts zu lachen gibt. Wiederum andere ergeben sich stumm ihrem Schicksal und warten geduldig darauf, dass einer der rot gekleideten Ordner ?Sesam öffne? dich ruft und sich die sperrigen Drehkreuze in Luft auflösen. Ganz Schlaue peilen die Lage und entdecken, dass eines der vielen Eingangstore noch mehr oder minder frei ist. Im Stil des Fahrspurhoppers bei der Staufahrt auf der Autobahn kämpft sich so ein ganz Schlauer, in beiden Fäusten becherweise das Bier (bringt man das in offener Tragweise neuerdings von zu Hause aus mit?) durch und steht endlich vor dem freien Drehkreuz. Obwohl er beide Hände und seinen ganzen Verstand zum Tragen des kostbaren Nasses benötigt, schafft er es mit artistisch großartiger Balance, auch noch die Eintrittskarte, die er zwischen den Zähnen aufbewahrt, in eine Hand zu bekommen.

Der Oberordner, dem das unerwartete Rotlicht-Milieu vor seinen Augen nur kurz die Sprache verschlagen hat, findet mittlerweile seine volle Handlungsfähigkeit zurück. ?Wir nehmen die Masterkarte?, kommandiert er seine roten Truppen. Das wiederum stellt einige Zuschauer vor größere intellektuelle Probleme. Denn an jedem Doppeldrehkreuz ist nur ein Ordner postiert. Wer bis zwei zählen kann, dem dämmert, was der Nebenmann fachmännisch feststellt: ?Heute geht?s im Reissverschlusssystem durchs Tor.? Dass etwa 90 Prozent der deutschen Autofahrer davon in ihrem Leben noch nichts gehört hat, lässt sich an diesem Pokalabend empirisch wunderbar vor den Toren des Westfalenstadions nachweisen. Der Fan hat eine gültige Karte und glotzt. Aber er reiht sich nicht ein. Wo käme man denn da hin? Obwohl mindestens dreihundert Stadionbesucher vor ihm mit derselben Übung schon gescheitert sind, hält stur auch er seine Karte vor den Scanner und stellt erstaunt fest: ?Nanu, ich komme hier nicht rein. He, Ordner, ist was kaputt??



Der Bierbecherträger hält just drei Minuten, nachdem allen von den Ordnern klar gemacht worden ist, dass sie bitte ihre Karten nicht vor den Scanner schieben sollen, weil er die Masterkarte für jeden persönlich aktivieren wird, seine Eintrittskarte vor den Scanner. Gut, wer Bier in dieser Form mit sich herumträgt, ist vielleicht ein Akrobat, aber er hat erfahrungsgemäß ein Problem zwischen ? aber auch mit den Ohren? Wir lernen: Wenn das Gehirn umnebelt ist, funktioniert das eine oder andere sonst noch einigermaßen brauchbare Organ ebenfalls nicht. Mit bewundernswerter Ruhe und Nachsicht wird dem Menschen, der das Hopfen und Malz in verflüssigter Form mit sich herumträgt, das an ihm verloren ist, das Drehkreuz geöffnet. ?Hier kommt auch jeder rein?, denkt man sich. Nebenan verpufft das sicherlich liebenswürdig gemeinte Angebot, den Ordnern zu helfen. ?Ich hab ?ne Visa-Card. Komme ich damit auch rein?? Die Ordner haben schon bessere Witze gehört.

Allmählich sortiert sich die Pokalspiel-Schar erwartungsvoll auf den Rängen ein. Die erste Musik ertönt aus den Lautsprechern des Stadions. Empfindsame Seelen zucken heftigst zusammen. Die Kiste ist mal wieder vollkommen falsch eingestellt ?aber das kennt man ja seit Jahren nicht anders ?, außerdem erklingt Weihnachtsmusik. Gut, seit dem Bielefeld-Spiel hat vermutlich keiner mehr die CD gewechselt ? man hat ja rein eventmäßig so viel am Kopf und kann nicht an alles denken.

Die weihevolle Stimmung verfliegt schnell unter den Zuschauern im Zentrum der Südtribüne. Es ist einfach unverschämt, was dieser Verein sich erlaubt. Sie schönen Klappsitze sind in Block 82 systematisch verschraubt worden. Heute ist es nix mit dem gemütlichen Sitzen bis Spielbeginn und dem interessierten Zugucken, wie andere Zuschauer keinen Platz mehr in den Sitzreihen kriegen. Europas größte Stehtribüne wird jetzt wirklich zur Stehtribüne ? und, stell dir vor ? es steht unverschämterweise auch noch auf den Eintrittskarten, dass man einen Stehplatz gekauft hat. Am Mittwochmorgen soll es in Dortmund und Umgebung übrigens einen Run auf Fachgeschäfte und Baumärkte gegeben haben. Mittags hieß es bei ?Eisenwaren Schrauben & Nagel? in Dorstfeld bereits: ?Wir haben keine Imbusschlüssel mehr, alles ausverkauft.? So kurbelt der BVB extern die Wirtschaft an.

Apropos BVB. Er ist der einzige Verein, der es schafft, ein sich von Spiel zu Spiel steigerndes, wüstes Pfeifkonzert der eigenen Fans gegen sich zu entfachen. Auch darin ist er einmalig. Mit einer beharrlichen Sturheit, die ihresgleichen sucht, wird die Trikotgewordene Verkaufsförderung des Hauptsponsors vor der Südtribüne heruntergekurbelt, wo findige Geister den Stimmungs-Hit ?You?ll never walk alone? versuchen umzudichten in die englische Übersetzung von: ?Bald gehst Du allein mit Evonik, aber ohne uns.? Der Hauptsponsor hält dennoch eisern an der selbst gewählten Negativkampagne fest. So sind sie die Eventheinis, immer anders ticken als die Masse. Notfalls tritt man sich den Stuhl, auf dem man sitzt, selbst unterm Hintern weg. ?Aber es war eine tolle Performance?, heißt es später beim Austernschlürfen und Champustrinken auf Pump. Immerhin soll die Fahne diesmal deutlich kürzer in Hanglage geblieben sein als bei ihren bisherigen Enthüllungen. Hat einmal jemand überprüft, ob das Ding brennbar ist? Vielleicht startet jemand mal eine Anfrage an die Bezirksregierung in Arnsberg. Wenn Mundlöcher (das Wort in seiner Bedeutung ist so schön bescheuert Deutsch, man muss es nicht mehr kommentieren) und Treppen frei zu halten sind, muss da bestimmt auch jemand eine etwas zur einwandfreien Lufthoheit über den Köpfen der Fans aus dem Versammlungsgesetz herauslesen können. Notfalls lassen wir Schäuble heranrollen, der sich zum Thema Terrorbekämpfung und Luftkontrolle bestimmt etwas Passendes einfallen lässt. Falls der versagt, frage jemand, bitte, bei Herrn Beckstein nach. Man muss einfach nur den richtigen Knopf drücken.

Das konnte ein gewisser Lothar Emmerich zu fußballerischen Lebzeiten ganz famos. In den 1960er-Jahren hämmerte er mit der linken Klebe Bundesliga-Torhütern und europäischen Kollegen geregelt das runde Leder um die Ohren und ins Netz. Seine Nachfahren haben dem Borusseum eine Torjägerkanone, ein Nationaltrikot und die vergoldeten Schuhe einer Bundesligasaison vermacht. Schatzmeister Dr. Lunow war ganz gerührt und mahnte die Fans, sie sollten auch mal gucken, ob sie noch Schätze haben, die sie dem Verein vermachen könnten. Ich hätte einen Tipp, lieber Doktor Schatzmeister. Schauen Sie doch mal bei ihrem akademischen Kollegen gleich in der Nachbarschaft nach. Dr. Niebaum muss so manches Schätzchen vom BVB noch im Keller haben. Irgendwo müssen die Millionen geblieben sein, die er ? leider noch ohne die Evonik-Fahne ? seinerzeit verbrannt hat. Da ist bestimmt noch ein Schätzchen zu holen. Und bei Michael Mighty Meier in Köln am Rhein ist bestimmt ein weiterer Schatz zu heben. Vielleicht fragen Sie auch mal bei den Jesuiten nach, von denen MMM all die frommen Sprüche erlernt hat, die er stets vom Stapel lässt, die aber keiner versteht.

Eines fiel noch auf vor dem Spiel. Nobby Dickel liest Texte inzwischen einigermaßen unfallfrei, aber noch nicht ganz flüssig, vom Blatt ab. Und er war diesmal nicht der ?Held von Berlin?. Die Fans haben ein feines Gespür. Vielleicht wussten sie, dass da unten im roten Torhüter-Outfit ein gewisser Herr Ziegler mehr kann als mit stoischer Ruhe zu ertragen, wie die sportliche Führung die Wertigkeit des eigenen Kaders mit medial unterhaltsamen, aber inhaltlich leeren Verhandlungsversuchen im Bemühen um einen Essener Schnösel bei den Gunners wegkartätscht hat. Anschließend mit leeren Händen dazustehen und mal wieder verhinkelt worden zu sein, ist inzwischen eine souveräne Fähigkeit.

, 31.01.2008 

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