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Erlebnis Derbymarsch

Ein Rückblick, der getreu dem alten Motto der Bundeswehr, erst immer eine Nacht drüber zu schlafen, bevor man sich beschweren möge, verfasst wurde. Und dennoch gab es auch nach reiflicher Überlegung erkennbare Gründe, diesen Blick zurück zuzulassen, aber lest selbst...

Nanu? Was war denn das? Ich bin von Haus aus Rheinländer und Fan des BVB. Kein Ultra, denn ein bisschen Verstand und Abstand habe ich mir in all den Jahren bewahrt. Obwohl der Verein einen mitunter um den Verstand bringen kann. Im Rheinland gehe ich am Rosenmontag nicht auf die Straße, um mich mit wildfremden Menschen in seltsamen Gewändern der Leidenschaft des angeknipsten kollektiven Lustigseins hinzugeben. Karneval ist ganz und gar nicht lustig. Aber das ist der BVB in der Bundesliga auch nicht. Ich bin eine Woche nach dem Rosenmontag aufgebrochen, um für den BVB auf die Straße zu gehen und Farbe zu bekennen.

Am Morgen hatte ich bereits die Wanderschuhe an den Füßen. Denn man weiß als externer Teilnehmer nie, wie weit so ein Marsch geht. Aber dann habe ich es mir anders überlegt. Ich habe das schwarzgelbe Trikot und Jeans angezogen und Turnschuhe. Das, so dachte ich, müsste reichen für einen zünftigen Derbymarsch vom Friedensplatz aus zum Westfalenstadion. Ich bin zu gutgläubig. Es war bereits zu viel.

Ankunft Hauptbahnhof Dortmund. Viele schwarzgelb gekleidete Menschen streben dem Ausgang, die meisten vorher mindestens einem Bier zu. Ohne Saufen geht Fußball für manche nicht. Ich habe dafür keinen Blick. Ich will mich einreihen in die Phalanx der Fans, die demonstrativ ihr Gesicht für den Verein und diese Stadt zeigen wollen. Ich will mitmachen und eine Stadt in Schwarz und Gelb hüllen und schwimme im Strom schwarzgelb gekleideter Menschen mit, die sich zu Fuß vom Hauptbahnhof entfernen. Auch ich gehe zu Fuß, denn Ich kenne mich im Inneren und mit den Bahnverbindungen der Westfalenmetropole nicht so gut aus, und frische Luft tut gut. Sollen andere mit der U-Bahn fahren, die lustigerweise in Dortmund eine tiefer gelegte Straßenbahn ist.

Ich biege um eine Ecke ? und bin ganz erschrocken. Das hier kann nicht der Friedensplatz sein. Ich stehe vor einem großen schwarzen Knäuel. Hier muss eine große Beerdigung stattfinden. Lauter schwarz gekleidete Menschen, und alle so jung. Als Rheinländer bin ich von Geburt an Katholik. So schließe ich: Das ist keine Beerdigung, auch wenn die Stimmung dem nahe kommt, sondern eine Ordination von Novizen, die Einführung erstaunlich vieler junger Menschen in einen Orden. Ich kenne zwar die Bruderschaft vom Orden des Schwarzen Kreuzes. Aber das hier unmittelbar vor mir müssen Schwarze Kapuziner sein. Sie üben einen Choral. Oft haben sie ihn bisher wohl nicht gesungen. Textfest sind sie, aber die Harmonien zeugen von eigenwilliger Vielfalt. Der Kantor fuchtelt verzweifelt mit den Händen gegen die unerwünschte Startgeschwindigkeit und furiose Vielstimmigkeit seines Chores an. Vergebens. Hier herrscht musikalische Anarchie. Die Messe kann beginnen.

Irgendein scharfer Geruch stiehlt sich in meine Nase. Ich muss niesen und erinnere mich jetzt lebhaft. In Hochämtern greift die katholische Kirche bis zum heutigen Tag zur Weihraucheinäscherung. Aber Oman oder Maidi riechen anders. Vielleicht wird hier Shit verbrannt? Einige in diesem Kollektiv benehmen sich, als hätten sie unter ihrer Kapuzenjacke heimlich geschnüffelt und nicht nur im Übermaß Bier in sich hineingeschüttet. Aber der Rauch, der hier aufsteigt, entspricht mehr dem Spieltrieb kleiner Jungs, die erstmals ohne Aufsicht und endlich mal ganz allein in die große Stadt gehen durften. Bengalische Feuer, Rauchtöpfe und Funkensprüher aus Papis Silverstervorrat versetzen simple Geister in Verzückung und nebeln nicht nur die Umgebung ein. Das hier wird zur Freiluftmesse für Kinder und postpubertäre Firmlinge.

Ich versuche mich zu verdrücken, als ich neben mir und hinter dem schwarzen Haufen endlich doch immer mehr Bruderschaftler des Ordens vom BVB entdecke: Schwarzgelbe Trikots, Jeans und Turnschuhe. Erleichtert atme ich auf. Ich war nicht falsch. ?Komm mit, wir schließen uns an?, sagt jemand, der sich an ein paar vorrückende Desperados angehängt hat. Und irgendwie schieben er und ein paar Desperados mich da hin, wo vorne ist.

Das war ein Fehler. Als ich den äußeren Rand der vorderen Reihe am Ausgang des Platzes erreicht habe, baut sich vor mir ein Sergeant des Ordens von den schwarzen Kapuzinern auf. Erkennbar am schwarzen Habit und grauem Kapuzenpulli. Und an der Stimme. Sergeanten haben in allen Armeen der Welt den Rang eines Unteroffiziers, die Lizenz zum Brüllen und mit Rücksicht auf ihren dicken Kehlkopf wenig Hirn. Der Kopf kann schließlich nicht alles tragen, was schon den Hals übermäßig belastet. Der Kerl ist kein Hüne aus dem Bilderbuch der US Army, sondern mehr die Ausgabe fieser Hänfling. Mit einer Bewerbung zum Ordner im Westfalenstadion hätte man ihn vermutlich abgewiesen. Strunzdoof ist selbst da nicht drin. Aber darüber muss er nicht nachdenken. Er packt sein Resthirn auf die Zunge und blökt:

?Jetzt kommen die ganzen Idioten auch noch nach vorne: Was wollen die hier?? Einen Gesprächspartner hat er nicht. Der Kapuzensergeant ist sich selbst genug. Er faucht mich an: ?Verschwinde hier!? Ich schaue ihn stumm an und versuche mir im Stillen darüber klar zu werden, was sich hier ab-, und wer sich hier aufspielt. Hier dürfen nur die schwarzen Kapuziner in die erste Reihe. War nicht dazu aufgefordert worden, sich dem Marsch anzuschließen? Gelebte Hierarchie von selbst ernannten Besserfans. Der Klügere gibt nach, was mir in diesem Fall leicht fällt. Ich gehe einen Schritt vor, weil ich zurück nicht mehr kann. Das stimmt den Kapuzensergeant jedoch noch aggressiver. Er brüllt unverständliches Zeug, ich mache mich bereit, die gleich aus dem Hals fliegende Galle aufzufangen. Es muss das intelligenteste Organ in diesem Menschen sein. Er nimmt unmissverständlich eine drohende Haltung ein. Gleich schlägt Schwarz auf Schwarzgelb ein, denke ich. Aber was im Kopf nicht drin ist, kann auch nicht raus. Die anderen in Schwarzgelb schieben mich aber einfach vorwärts. Ich gerate zwischen die schwarze Front und die Polizei, die ganz vorne steht. Komisch, denke ich, an die Grünen traut der Held sich nicht ran, obwohl die ohne ihn zu fragen die Spitze bilden. Wahrscheinlich rollt er gleich im Stadion sein Transparent aus, das die Polizei wieder mal kollektiv als Schweine bezeichnet.

Der Kapuzensergeant will uns weiterhin nicht durchlassen. Meine Begleiter, die ich gar nicht kenne, müssen jetzt mit bewundernswerter Geduld harte Überzeugungsarbeit leisten. Unter anhaltendem Gemoser macht er endlich Platz und lässt uns durch. Der Marsch kann beginnen.

Ich komme mir vor wie auf der A 40. Im Stopp-and-Go geht es langsam vom Friedensplatz und vorwärts in die Stadt hinein. Hinter und neben uns übt der Chor der selbst ernannten kämpfenden Brüder vom Schwarzen Orden mit den Kapuzen einheitlichen Gesang. Marschtritt kann keiner, drum klappt es auch nicht mit dem Gesang. Atonale Kakophonie weht durch die Stadt, mitleidige Blicke von Passanten begleiten die Holperei der restlos überforderten Vorsänger, denen es nicht einmal gelingt, den eigenen Haufen in unmittelbarer Nähe zum einigermaßen geordneten Mitsingen zu bewegen. Vorne stoppt die Unity den Marsch. Man mimt eine Humba, und strebt dem einsamen Höhepunkt der Peinlichkeit entgegen. ?Hinsetzen, hinsetzen? kreischt es vor, neben, hinter mir. Stimmen überschlagen sich. Ein paar setzen sich, ein paar glotzen, anderen ist das zu blöd. Besonders tun sich jene hervor, die mit Handy und anderen Geräten Fotos und Filmaufnahmen machen wollen. Sie brüllen am lautesten ?Hinsetzen? und bleiben selbst starr stehen. Selbst nach zehn Minuten ist sich die Marschformation nicht einig ? auch die hartnäckigsten ?Hinsetzen?-Brüller geben entnervt auf.

Einige Borussen-Kapuziner zeigen unterdessen ihre besondere Verbundenheit mit der Stadt, deren Herz angeblich schwarzgelb schlägt. Heute ist sie eher mit Schwarzgelb geschlagen. Es muss die Bewohner, die einigermaßen bei Troste sind, einiges an Überwindung kosten, diese Form des verunglückten Rosenmontagszuges zu ertragen. Die Kapuziner zeigen unterdessen handfest, wie sehr sie hinter dem Verein und hinter dieser Stadt stehen, indem sie Angst und Schrecken verbreiten und mit flachen Händen und Fäusten die Schaufenster des örtlichen Einzelhandels traktieren. Weiter hinten sollen später Fenster zu Bruch gegangen sein. Andere Mitläufer pflegen ihre grenzenlose Infantilität, indem sie Aufkleber auf Autos und Schilder pappen und so das Eigentum anderer für sich vereinnahmen.



Die geplante machtvolle Demonstration vor dem Westfalenstadion verkommt zum unverständlichen Gegröle eines Mobs, dem nichts heilig ist und der sich bevorzugt nur selbst feiert, wenn er ?BVB? brüllt. Ganz bestimmt nicht der BVB. Den Verein haben ein paar ungezogene Kinder und machtlose Organisatoren heute lediglich der Lächerlichkeit preisgegeben.

Ich war zum ersten und garantiert zum letzten Mal beim Derbymarsch. Sollte die Polizei ihn demnächst ein- für allemal verbieten, wäre es das Beste ? für den BVB und für die Stadt Dortmund. So billig und primitiv darf man sich seinem ärgsten Kontrahenten nie mehr präsentieren.

, 13.02.2008

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