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Derbys für Anfänger, Teil II

The Old Firm

Robert Bolz berichtet aus dem Flugzeug von Edinburgh nach München


Glasgow ist eine, meiner Meinung nach, interessante durchaus mit Dortmund vergleichbare Stadt, im Westen Schottlands. Früher stark industrialisiert, heute mehr und mehr durch IT, Finanzwesen, Versicherungen und Dienstleistungsbranchen gekennzeichnet. Zwei große Universitäten (University of Glasgow, University of Strathclyde) sorgen für den akademischen Nachwuchs. Ein durchaus reges Nachtleben findet in vielen Ecken Glasgows statt. Für all die Kulturinteressierten gibt es genügend Museen (auch kostenlos, z.B. Transport Museum) und Wanderbegeisterte kommen in Schottland ohnehin auf ihre Kosten (Loch Lomond und Umgebung ist ein Traum!).

Schotten im Allgemeinen sind sehr höfliche und hilfsbereite Menschen. Im Bus (Hauptverkehrsmittel in Glasgow und Edinburgh) bedankt sich jeder Passagier vor dem Aussteigen beim Busfahrer! An der Supermarktkasse wird sich nach dem Befinden erkundet und wenn man jemandem versehentlich auf den Fuß steigt, entschuldigt sich ?das Opfer? dafür auch noch. Aber eine Sache ist mir ganz besonders aufgefallen: Warten ist Nationalsport! Egal ob auf ein Taxi beim Bahnhof, einen Bus in der Innenstadt oder auf die Metro nach dem Stadionbesuch: Eine ordentliche Schlange wird gebildet. Keiner wagt auch nur daran zu denken, sich vorzudrängeln.



Jetzt aber genug kultureller Anspruch. Fußball! Oder wie man in Schottland sagt: Fitba. Natürlich weiß jeder, dass die beiden großen schottischen Fußballclubs in Glasgow (schottisch: Glesga) beheimatet sind. Celtic im Osten der Stadt, die Rangers im Südwesten. Randnotiz: Das Stadion von Celtic (Parkhead aka Celtic Park) wird auch ?Paradise? genannt, da es direkt an einen alten keltischen Friedhof grenzt. Es ist im Vergleich mit Ibrox (Bild unten, 50.000 Plätze), dem Stadion der Rangers, auch das größere Stadion (60.000 Plätze). Touren finden in beiden Stadien statt, bei Celtic sollte man vorher anrufen, bei den Rangers sollte man das Ticket für die Tour schon ein paar Tage vorher am Stadion kaufen. Beide Touren führen sowohl in die Logen, als auch in die Ruhmeshallen und natürlich auch durch den Spielertunnel auf den Platz. Die Führungen kosten knapp unter 10 Pfund und dauern etwa 1,5 Stunden. Beide sind durchaus sehenswert, vor allem für Erinnerungsfotos.



Das dritte große Stadion in Glasgow ist Hampden, das Nationalstadion. Hier finden sowohl die Spiele der schottischen Nationalmannschaft (Tartan Army), als auch die Cup-Finals statt (League Cup, FA-Cup). Auch hier ist eine Führung möglich (?The Hampden Experience?), diese kann ich allerdings nicht beurteilen. Die Stimmung bei Länderspielen ist auf jeden Fall sehr gut, die Organisation eher problematisch. Beim Freundschaftsspiel gegen Kroatien standen beim Anpfiff noch circa 1.500 Personen ? unter anderem natürlich ich ? in dieser wunderbar organisierten Schlange vor dem Stadion, um ihre vorher per Internet bezahlten Tickets abzuholen. Als 15 Minuten nach Anpfiff, bei anhaltendem Regen, immer noch circa 1.000 Leute vor dem Stadion standen (unter anderem immer noch ich) und die Stimmung so langsam zu kippen drohte, wurden die Tore des Stadions einfach geöffnet und jeder konnte ohne Karte hinein. Beim Spiel selbst waren etwa 30.000 Zuschauer, wobei die eine Seite des Stadion das komplette Spiel über stand. Die andere (leerere Seite) rührte sich dafür kaum. Das Spiel war auf niedrigem Niveau und endete 1:1.

Jetzt aber genug des Vorwortes: Kommen wir zum Old Firm. Der Name ?Old Firm? rührt daher, dass die beiden großen Clubs, Celtic und Rangers, durch die Spiele gegeneinander immer schon das meiste Geld eingenommen haben ? wodurch die Finanzkraft der beiden Clubs, im Vergleich zu den anderen Schottischen Vereinen, immer weiter zunahm. Dies ist zumindest die offizielle Theorie, verschiedene andere Theorien können durch geschicktes Suchen im Internet gefunden werden.

Das Spiel ist trotz der Regelmäßigkeit der Austragung (alleine 4 Spiele pro Saison in der Clydesdale Scottish Premier Leauge) immer noch DAS Highlight in Schottland und vielleicht auch das stimmungsreichste Spiel in ganz Großbritannien. Nicht wie viele andere Derbys bezieht dieses Spiel seine Brisanz lediglich aus der räumlichen Nähe der beiden Kontrahenten. Politische und vor allem religiöse Differenzen haben jeweils eine tiefe Abneigung gegenüber der anderen Seite geschaffen. Die Hintergründe würden hier zu weit führen, deshalb verweise ich wieder auf Google und Co. In Kurzform kann gesagt werden, dass Celtic der irische Katholikenclub ist und die Rangers die kronloyalen Protestanten repräsentieren.

Es wurde schon durch verschiedene Maßnahmen versucht, dem Aufeinandertreffen ein wenig seiner Aggressionen zu berauben. Zum einen ist Anstoß regelmäßig schon um 12:30 Uhr (Alkoholpegel!), zum anderen wurden diverse Gesänge strikt verboten (?We?re up to our knees in fenian blood, surrender or you?ll die?). Dass die Fans strikt nach Vereinszugehörigkeit getrennt werden ist selbstverständlich. Ausnahmen (beiderseitig) habe ich nicht bemerkt und dass wahrscheinlich nicht, weil ich eine Sehschwäche habe. Nach Aussagen von ?alten Hasen? haben die Maßnahmen aber doch dazu beigetragen, dass die Aggressivität zwischen den beiden Clubs etwas abgenommen hat.

An Tickets für dieses Spiel zu kommen ist, sagen wir mal, nicht so einfach. Die Tickets für die Heimfans gehen komplett an Dauerkarteninhaber, die Gäste-Tickets gehen ausschließlich an Dauerkarteninhaber, die sich für Auswärtsspiele registriert haben. Wer also keine Beziehungen hat, bei einem Hauptsponsor Karriere gemacht hat, oder eine Dauerkarte sein Eigen nennt, hat keine Chance. Jetzt aber kommt der Clou: Es gibt bei beiden Clubs regelmäßig ?Part Time Season Tickets?. Man kauft also für die Hälfte des Preises (oder ein Viertel des Preises) eine Dauerkarte für die Rückrunde (das letzte Viertel der Saison). Infos über diese Rückrunden-Dauerkarten werden jeweils auf den Websites der Clubs veröffentlicht.



Am Spieltag ist es, wie sonst in Großbritannien auch üblich, bis etwa eine Stunde (erst dann werden die Eingänge für das Stadion geöffnet) vor dem Spiel noch relativ ruhig. Die Fans beider Clubs befinden sich noch auf dem Weg oder schon in Pubs in Stadionnähe. Die Mannschaften kommen in neutralen Bussen vor den Main Stand gefahren (die Straße wird dann natürlich für den übrigen Verkehr gesperrt) und können dann, in roter-Teppich-Manier, durch die von Absperrgittern zurückgehaltenen Fans entweder unter Jubel und Beifall, oder unter Buh-Rufen und Beleidigungen in das Stadioninnere gelangen. Schon beim Einlaufen der Spieler zum Aufwärmen kann man die Bedeutung des Spiels erkennen. Obwohl erst etwa 10.000 Fans im Stadion sind, ist die Geräuschkulisse beachtlich. Die Aufstellung der Gastmannschaft wird vorsorglich schon eine halbe Stunde vor Anpfiff bekannt gegeben, um nicht kurz vor Anpfiff noch einmal darauf kommen zu müssen. Artur Boruc, der Torwart von Celtic, der sich vor jeder Halbzeit auf dem Weg in sein Tor bekreuzigt, ist wegen der Geste im Ibrox ein nicht gern gesehener Gast. Er wird von den Fans speziell begrüßt: ?Artur Boruc, you?re a wanker!?

Kirsche-Groundhopper Robert Bolz als Coach

Kirsche-Groundhopper Robert Bolz als Coach

Bis etwa eine halbe Stunde vor Anpfiff sind im Übrigen auch keine nervige Musik, Werbe-Jingles oder unglaublich blöden Fan-Spiele zu vernehmen. Richtung Anpfiff kommen dann ein paar Pop-Hymnen und etwa 15 Minuten vor Anpfiff ein Rangers-Medley. Kurz vor Spielbeginn ? das Stadion hat sich innerhalb von etwa 10 Minuten bis auf den letzten Platz gefüllt ? folgt dann noch die Heimaufstellung und die Vereinshymne (?Follow, Follow?). Wenn die Spieler dann aus dem Tunnel kommen, ist die Lautstärke ohrenbetäubend, kein Vergleich mit irgendeinem Bundesligaspiel, auch Dortmund vs Schalke im letzten Mai (siehe ?Derby für Anfänger, Teil I?) erreichte, trotz höherer Zuschauerzahl, nicht so einen Geräuschpegel. Beim ?Celtic Huddle? (die Celtic Spieler versammeln sich im Kreis und reden über ihre Aktienkurse...) sieht man das Celtic End frenetisch jubeln, vom Rest des Stadions kommen vereinzelt Beleidigungen, größtenteils aber ein langgezogenes, britisches ?Boooooh?.

Die Stimmung während des Spiels ist sehr aufgeheizt, jeder Einwurf wird wild bejubelt, jedes Foul wird als persönliche Beleidigung hingenommen und vergebene Chancen lassen das Stadion erzittern. Als dann in der 44. Minute nach einer schönen Kombination das 1:0 für die Rangers fällt, erbebt Ibrox förmlich. Ich habe nicht geglaubt, wie laut 43.000 Leute schreien können. Nach etwa 3 Minuten frenetischen Jubelns werden verschiedene Gesänge angestimmt, bei denen wirklich das gesamte Stadion (natürlich bis auf das Celtic-End) mitsingt. Nach der Halbzeit ist das Spiel (wie auch in der ersten Halbzeit) auf niedrigem Niveau, Celtic technisch besser, nutzt aber die sich bietenden Chancen nicht.

Gegen Ende des Spiels gibt es noch eine heikle Situation, die ? auf gut Deutsch gesagt ? zu einer Rudelbildung führt. Thomson (der Torschütze zum 1:0; schon gelbverwarnt) sinkt theatralisch zu Boden. Die aufgebrachte Menge fordert natürlich die Gelbe Karte für den Abwehrspieler, wobei Thomson aufgrund dieser (relativ offensichtlichen Schwalbe) eigentlich mit Gelb-Rot vom Platz hätte gehen müssen. Wahrscheinlich wusste er das und mimte so extreme Schmerzen, dass er mit einer Trage vom Platz befördert werden musste. Anzumerken ist, dass Boruc sich beim Schiedsrichter über die Schwalbe beschwerte und Gelb erhielt: ?Artur Boruc, you?re a wanker?. Kurz vor Abpfiff hat Davies dann noch das 2:0 auf dem Fuß, scheitert aber an Boruc. Der Schlusspfiff führt noch einmal zu einem frenetischen Jubel auf den blauen Tribünen des Stadions. Das Celtic End ist sehr schnell leer, die Rangers singen ?Let?s have a party?.

Von Ausschreitungen rund um das Stadion oder in der Innenstadt ist mir im Übrigen nichts bekannt. Beide Fangruppen wurden strikt getrennt und scheinbar hat die enorme Polizeipräsenz (die sich aber sehr zurückhaltend verhalten hat) gewirkt. Alles in Allem also ein sensationelles Erlebnis und von mir absolut zu empfehlen, wobei wahrscheinlich absolut egal ist, wer Heimrecht hat. Im Interesse derer, die jetzt sofort auf die Insel wollen, um sich Spiele von Celtic oder den Rangers anzuschauen, muss ich noch anmerken, dass die Atmosphäre beim Old Firm einzigartig ist, höchstens bei wichtigen Europacupspielen kommt eine ähnliche Stimmung auf. Bei den normalen Ligaspielen kommt man relativ einfach an Karten, dafür ist die Stimmung aber ziemlich mau.

, 02.April 2008

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