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Wer sich verteidigt, klagt sich an (Teil II)

K O M M E N T A R  zum  K O M M E N T A R

Die erste Ausgabe meines Beitrags unter dem gleichen Titel hat dankenswerter Weise viele Leser dazu gebracht, sich in erklärlicher Empörung davon zu distanzieren, daß Lothar Matthäus von mir mit der Gesamtheit aller Bewohner Frankens gleichgesetzt wurde. Ich hatte dies in "satirischer" Absicht getan, auch, weil Lothar Matthäus zumindest für die jüngere Vergangenheit als einer der bekanntesten Vertreter Frankens im Fußball gelten darf. Daß die Gleichsetzung einer Person mit der Bevölkerung eines ganzen Landstriches nicht ernst gemeint sein kann, liegt allerdings nahe, zum Beispiel, da Matthäus Inhaber der Würde des deutschen Rekordnationalspielers ist, eine Ehre, die naturgemäß nur einer Person zugeordnet sein kann. Meine eigentliche satirische Absicht nicht deutlich genug zur Geltung gebracht haben zu können, bedauere ich außerordentlich.

Noch mehr danke ich jenen Lesern, die mich - wohlmeinend oder auch aufgebracht - über die Zusammenhänge mit den dem Artikel zugrundeliegenden Vorgängen aufgeklärt haben. Dabei habe ich nicht so sehr die erhellende Mitteilung im Auge, daß die "Pyro-Werfer" gar keine Nürnberger Anhänger waren, sondern es sich um eine Handvoll gewaltbereiter, ausländischer Hooligans handelte, die leider von den anwesenden ca. 1500 FCN-Fans nicht zur Raison gebracht werden konnten; ich denke mehr an die Schilderungen der tatsächlichen Beweggründe und Handlungsweisen von "Ultras" im Allgemeinen und Nürnberger Ultras im Besonderen.

Ich habe diese Richtigstellungen sehr aufmerksam gelesen, weil mir klar ist, daß sie wahr sein müssen, weil sie von mehreren Personen unabhängig voneinander mitgeteilt wurden, und daß sie sachkundig sind, weil jeder der Schreiber seine Zuschrift mit seiner langjährigen Liebe zum FCN begründete.

Auch habe ich lange überlegt, wie ich den freundlichen Aufklärungen Genüge tun kann, und bin zu dem Schluß gekommen, daß die Schwärzung oder Abänderung einzelner Textpassagen unsinnig wäre, da mein Artikel in seinen Einschätzungen offenbar vollständig falsch zu sein scheint. Daher habe ich mich entschlossen, im Folgenden eine Neufassung zu veröffentlichen, die dadurch die Wahrheit wiedergeben wird, daß sie, wie oft gefordert wurde, das genaue Gegenteil von dem in der ersten Version Behaupteten als das wirklich Wahre niederlegt. Ich hoffe, damit einem allgemein geäußerten Wunsch zur allseitigen Zufriedenheit Rechnung zu tragen. 

Hier nun der neue Text:

Als Fußballanhänger bin ich keineswegs old-school. Ein Stadion muß doch nicht unbedingt ein Stadion, bestenfalls eine "Hütte" sein, es kann ganz sicher auch "Arena" genannt werden, denn die früher damit assoziierten Panther, Gladiatoren und Senatoren sind überflüssig, die Ähnlichkeit liegt bei den Logen für die besser Betuchten, die auch das Kolosseum bereits besaß. Ein Spiel ist nicht nur ein Spiel, auch nicht nur ein Match, sondern kann auch "Event" sein, schon deswegen, weil zu einem solchen Anlaß in naher Zukunft vielleicht sogar Howard Carpendale, Oliver Pocher oder gar Thomas Gottschalk auftreten. Ein Fan ist demzufolge nicht nur ein Fan, ein Anhänger oder, auch in Wolfsburg oder Leverkusen, nicht nur ein Stadionbesucher, er ist ein Kunde. Die Tätigkeiten, die ein Kunde ausübt, nennt man, in dieser Reihenfolge: Anreisen, Häppchen essen, mit den Preziosen klimpern und einige Gläschen Sekt zu sich nehmen. So ist es heute schon, so wird es immer sein. Dachte ich.

Dachte ich, bis irgendwann in den Neunzigern das Wort "Ultras" auftauchte. Bis dahin kannte man dieses Wort vor allem aus der Farbenlehre; da gab es Ultramarin, Ultraviolett und Ultrarot. Ich fragte mich eigentlich nicht, was denn nun so ultra an den Ultras im Stadion ist, habe aber dennoch ziemlich schnell rausbekommen, daß der Begriff aus Italienischen herübergeschwappt war, daß es um "Support" geht, was etwas völlig Anderes ist, als totale Hingabe an den Verein und maximale Unterstützung. Ich hatte auch noch genug vom Englischunterricht behalten, um zu wissen, daß "support" im Englischen eben "Unterstützung" heißt, und mir war sofort klar, daß mehr als die auch früher schon üblichen, neunzig Minuten währenden Gesänge, die riesigen Fahnen und der frenetische Jubel nach einem Tor noch, also "ultra", wörtlich: "darüberhinaus" möglich sei.

Seit dem vergangenen Spieltag nun endlich weiß ich, daß es weitreichende Nächstenliebe, Toleranz und Bescheidenheit sind, die den Ultra vom Fan unterscheiden. Nicht immer, aber....

Da spielen zwei schwarz-rote Mannschaften in der Commerzbank-Arena gegeneinander und im dichtgedrängten Block der fränkischen Auswärtsfans zünden ein paar frierende, aber umsichtige Menschenfreunde Feuerwerkskörper, die dann auch noch aufs Spielfeld geworfen werden, vermutlich um auch dem Schiedsrichterassistenten an diesem kalten Nachmittag die Möglichkeit zu geben sich aufzuwärmen. Nein, das ist eindeutig keine "versuchte schwere Körperverletzung in einem besonders gravierenden Fall", das ist gelebte Mitmenschlichkeit, schlimmstenfalls eine "Pyro" mit Bengalos". Damit steht das Spiel natürlich kurz vor seinem zwischenmenschlichen Höhepunkt, und nur der völlig überzogenen Reaktion des Schiedsrichterteams ist es geschuldet, daß wir nicht wieder einen Beweis für die in Deutschland übliche Solidarität der Zuschauer mit den Referees haben. Soviel zur weitreichenden Nächstenliebe.

Nun weiß man ja spätestens seit Lothar Matthäus, daß der durchschnittliche Franke in den mitteleuropäischen Kulturtechniken etwas weiter fortgeschritten ist, als andere Volksstämme, und man könnte, nach heftigem Glückwünschen und einer hoffentlich ebenso heftigen Belobigung durch den DFB wieder zur Tagesordnung übergehen, wäre da nicht noch ein Interview mit dem sogenannten "Sicherheitschef" des FCN in der Frankfurter Allgemeinen. Man sollte ja glauben, daß ein "Sicherheitschef", dessen "Schutzbefohlene" ein derart beeindruckendes Beispiel von Fürsorglichkeit abgeliefert haben , entweder mit geschwellter Brust auftritt, oder gleich vor Stolz platzt. Aber nix da - dieser Huber (ja, ja, Franken gehört doch noch zu Bayern, iss schon recht), nimmt kein Verdienst für sich, sondern verweist auf die Urheber. Ich habe es nicht glauben wollen, als ich den Grund, den Herr Huber für diesen Samariter gefunden hat, nachlesen durfte: "Man muss wissen, dass die Ultra-Gruppierungen von Frankfurt und Nürnberg sich nicht so gut riechen können ..." Jo, da schaugt's her, dann iss ja eh' kloar, dassma hoit die Franggfodder höifn miassn, dass mer mitteranand warm werd, oder was jetzt?



Aber es reicht noch nicht, natürlich nicht. Schließlich wird man ja von Vereinsseite für diese Wohltäter eine Ehrung vorsehen, und der "Sicherheitschef" hat ja bestimmt auch schon ein Konzept dafür, oder? Hat er, keine Sorge, hat er. Es lautet wie folgt: "Wir müssen weiter sensibilisieren, und zwar in alle Richtungen. Bei jeder Uefa-Cup-Übertragung, die ich im Fernsehen sehe, werden die Bengaloträger, die ja gerade im Ausland noch viel verbreiteter sind, groß ins Bild gerückt. Warum müssen wir das zeigen mit tollen roten Bildern?" Stimmt eigentlich, es wäre sicher hilfreich, wenn man die TV-Anstalten dafür sensibilisieren könnte, sich mehr mit dem deutschen Bengalo zu beschäftigen, denn erstens würde der deutsche Fußball in der Öffentlichkeit noch malerischer dastehen, und zum zweiten ist ja allgemein bekannt, daß es gerade diese fiesen Kameraleute und hinterhältigen Kabelträger von SAT.1 sind, die die meisten Feuerwerkskörper übersehen, angeblich, um ihre Übertragung für Fußballfreunde interessanter zu machen. Auch da muß etwas getan werden! Dann kann man getrost darauf verzichten, die Typen, die bei der Einweihung einer Gedenktafel womöglich aus Bescheidenheit rot werden, mit irgendwelchen Festreden zu langweilen, oder gar, wie es eigentlich Bürgerpflicht wäre, sie für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen. Zeigt Bilder, dann ist die Sache passiert. So einfach ist Danksagen - wenn man sie von der alten Noris aus betrachtet.

Aber auch ein Huber (und ich würde diese Geistesgröße dafür bedingungslos sogar zum Oberhuber befördern) hat seine ehrlichen Momente. Einer dieser Momente trat ein, als er eine Charakteristik "seiner" Ultras gab. Auf die Frage, ob nicht die auf die Heldentat folgenden Auseinandersetzungen im Nürnberger Block darauf hinwiesen, daß es auch unter den Franken vielleicht noch den einen oder anderen Egoisten gäbe, wehrte dieser Vereinsfunktionär mit folgenden Worten ab: "Nein, nein. Ich glaube, das war eher eine kleine Show von den Jungs. Die wissen schon, dass sie vor den Kameras stehen und gefilmt werden "

Damit gibt Herr Huber zu, daß zumindest die Nürnberger Ultras in ihrer Gesamtheit menschenfreundlich und somit zu loben sind, daß sie den Intelligenzquotienten von Kartoffelsalat mühelos übertreffen, und daß sie der Verein, dem sie sich angeblich doch so sehr verschrieben haben, verglichen mit dem höheren Ziel des Nächstenliebe einen gepflegten Dreck interessiert, daß es ihnen nur um die Darstellung einer verschworenen Gemeinschaft von Nothelfern, möglichst vor laufender Kamera, geht. Ich hätte nie geglaubt, daß ich mein positives Vorurteil gegenüber dieser Form stiller Helden so klar und eindeutig aus berufenem Munde bestätigt würde finden können. Wenigstens dafür ist Herrn Huber zu danken, und seine Sätze sind, in Stein gemeißelt, am Easycredit-Stadion anzubringen.

Falls Platzmangel herrschen sollte, empfehle ich eine Kurzversion: "Der ruhmreiche 1. FC Nürnberg hat die klügsten, menschenfreundlichsten und bewundernswertesten Fans Deutschlands! Sie heißen FCN-Ultras."

, 10.04.2008

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