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Pokalgesetze und die Leute von der Volksbank

Ein Blick durchs Stuttgarter Daimlerstadion von Michael Verhoeven


Die Bayern. Natürlich. Wer sonst? Wenn im deutschen Fernsehen Fußball übertragen wird, dann nur Spiele des FC Bayern. Das ist eines der Gesetze, von denen es im Pokal nur so wimmelt. Nach langer Durststrecke ? in der Winterpause machten sich Entzugserscheinungen bemerkbar ? ging es jetzt wieder los mit dem FC Bayern. Das Zweitklassige Deutsche Fernsehen proudly presented Johannes Bakschisch Kerner, den Herzjesuknaben der deutschen Putenwurstindustrie, zum Auftakt im Vorgespräch mit dem Schweinewurst-Industriellen Ulrich Hoeneß. Anstandshalber durfte auch ein gewisser Herr Heldt ein Mikrophon des ZDF in den Volksbank-Wir-machen-den-Weg-frei-Farben tapfer lächelnd in die Kamera halten und auf Kommando von Herrn Kerner ein artiges Kompliment über Herrn Hoeneß und dessen Erfindung FC Bayern in den Stuttgarter Abendhimmel stammeln.

Dann stellte Herr Kerner einmal mehr unter Beweis, warum er zu den investigativsten Journalisten seiner Zunft gehört und warum er jeden Euro wert ist, den man ihm zusteckt: ?Sind Sie froh, dass das Thema Podolski jetzt beendet ist?? Herr Hoeneß dachte einen Augenblick angestrengt nach, bekam einen leichten Schleier rund um die Augenpartie und sagte bedeutungsvoll: ?Ja.? Es war die werthaltigste Frage dieses denkwürdigen Abends im einstigen Neckarstadion, in dem anschließend der vom braven Herrn Babbel mustergültig eingestellte Schwabenexpress eifrig und erfolgreich mit den Bayern um die von DFB und ZDF ausgelobte Abwrackprämie rang. Bis dahin erfuhr der Zuschauer noch etwas Erstaunliches: Herr Hoeneß verzichtet künftig auf Neuverpflichtungen und Verkäufe wegen der Steuergesetzgebung in diesem unseren Lande. Das ist ein listiger Schachzug, denn Herr Hoeneß will verhindern, dass die Bundesregierung beispielsweise auf die Idee kommt, in ihrem Konjunkturpaket Rostock für die Olympischen Spiele anzumelden, dort ein Olympiastadion zu errichten und dem Verein so eine lukrative Spielstätte auf Kosten der Steuerzahler zu gönnen. Den Präzedenzfall von 1972 soll es nicht wieder geben. Guido Westerwelle wird Uli küssen wollen, der Bund der Steuerzahler wird kollektiv die Mitgliedschaft bei den Bayern beantragen.

Während dienstbare Geister des VfB Stuttgart noch unter Aufbietung aller verfügbaren chemischen Kampfmittel die Schleimspur des Johannes Bakschisch Kerner von der Laufbahn zu beseitigen suchten, ergriff die wortgewaltigste Waffe des Zweitklassigsten Deutschen Fernsehens, Herr Bela Rethy, das Mikrophon, um es fürderhin nicht mehr herzugeben. Nach dem auch vom Vatikan abgesegneten Eingangsritus ?Lobpreiset den FC Bayern, seiner Gnade verdanken wir armen kleinen Schweine hier draußen auf den Rängen erst unsere wohlgestallte Existenz?, widmete sich Herr Rethy dem wohldosierten Werfen von informativen Nebelkerzen. Als freie Honorarkraft des Verbandes der Deutschen Krankenkassen sorgte Herr Rethy bald bei allen fachkundigen Zuschauern draußen an den Geräten für viel Bewegung. Das chronische Muskelzucken in Herzkammern, Hirnwindungen und Fäusten durch Rhethys außerordentlich fachkundige Einwürfe hat die AOK Bayern bereits eingereicht als Beitrag zur nächsten Gesundheitsstrukturreform. ?Bela bewegt dich?, ist das Motto von Barmer, Bild und dem Zweitrangigsten Deutschen Fernsehen.

Derweil döste Herr Hoeneß schon auf der Trainerbank, auf der neben ihm der Schwabe Klinsmann zur Feier des Tages als Gast Platz nehmen durfte, still vor sich hin. In ihm klangen noch die wohl formulierten Sätze nach, die Johannes Bakschisch Kerner ihm als ungeheuerliche Neuigkeit unter Komplimenten, die auch lange nach Spielschluss noch vom Hoeneß?schen Kinn trieften, in gnadenloser Unterwürfigkeit entlockt hatte. Ulrich Hoeneß wird bald den Vorsitz des Aufsichtsrates beim FC Bayern besetzen und notfalls als Gottvater des Weltfußballs sein Werk der Gleichschaltung vollenden. Künftig spielen die Bayern national und international nur noch gegen sich selbst. Irgendwann muss doch mal mehr herausspringen als die popeligen Titel, die bisher eingefahren wurden.

Außerdem will der Uli sein ganzes diplomatisches und ausgleichendes Wesen direkt in die Politik einbringen. Da muss sich der Seehofer Horschtl an der Spitze der Bayerischen Staatsregierung auf ein kurzes Gastspiel einstellen. Mit Uli ante portas ist der CSU-Horst nur sein Stellvertreter in der Staatskanzlei, versehen mit geringer Halbwertzeit. Hoeneß wird die Macht ergreifen. Er wird Ministerpräsident und vom Hauptbahnhof München aus einen Flugpendeldienst zur Arroganzarena einrichten, das Innenministerium für den Ordnungsdienst verpflichten, seine Integrationskraft in das Sozialministerium einbringen und ? das liegt angesichts der innovativen Entwicklung seiner Frisuren seit 1972 nahe ? das Kultusministerium befruchten.

Über das Mitwirken von Uli Hoeneß im Gesundheitsministerium des Freistaates Bayern wird gerungen. Er müsste dazu auf ein Bluthochdruck steigerndes Mittel aus Blaubeuren bei Ulm, seiner Heimatstadt, und den damit verbundenen Sponsoringvertrag verzichten. Interessenskollision nennt man das. ?Ach?, winkt Johannes Bakschisch Kerner ab, als das Mikrophon abgeschaltet ist. ?Ich würde beides machen, merkelt sowieso keiner. Oder heißt das mercklet? Ist auch egal. Alle sind sicher, dass wir Fußball-Journalisten von Fach und außerdem neutral für die Bayern sind. Es kommt auf den Glauben an, lieber Uli. Dann nimmt man dir alles ab.?

Platz da, jetzt komm ich!

Platz da, jetzt komm ich!

Es steht inzwischen 0:2 für die Bayern. Man hat den Eindruck, als sammelten sich Tröpfchen im Beinkleid von Herrn Rethy allmählich zu einer kleinen Lache, die sich später als größere Pfütze unter seinem Kommentatorenstuhl ausbreiten wird. Herr Fandel ist auch schon ganz unruhig. Zwanzig Minuten gespielt, es steht 0:2, und er hat immer noch nicht Schicksal spielen dürfen. Aber so etwas pfeift ein Virtuose ohne großes Üben locker vom Blatt. Herr Boca von der Elfenbeinküste segelt etwas unkoordiniert durch den schwäbischen Strafraum. Hand und Ball berühren sich. Herrn Fandels Winkemann wedelt aufgeregt mit seinem DFB-Supporterfähnchen, Maestro Fandel gibt Elfmeter, beim DFB und in der DFL atmet man befreit durch. Der Mann hat wieder alles richtig gemacht. Und Herr Rethy seziert auftragsgemäß die Szene. Er kommt ebenfalls zu einem klaren Ergebnis: Es war ein absichtliches Handspiel, Elfmeter. Geht ja gar nicht anders. Heute vielleicht. Vor wenigen Jahren hätte das noch anders gehen können. Da pfiff ein gewisser Dr. Markus Merk, verhasst auf vielen Tribünen dieser Liga. Aber der hat im Westfalenstadion einmal nach einer identischen Szene, in der er keinen Elfmeter gegen den BVB verhängte, schlicht gesagt: ?Das ist nicht meine Auffassung von Fußball.?

Herr Fandel hat da eine andere Auffassung. Er ist überhaupt viel strukturierter und vergibt schon mal huldvoll Interviewtermine an Journalisten, wie jüngst der EM in Österreich und in der Schweiz. Dazu stellte er ein großes Kärtchen mit seinem Namen und seiner Funktion als Uefa-Referee kameragerecht auf einen Stehtisch, richtete das Scheinwerferlicht genau auf sich aus, ließ Merkel-Friseur Walz noch mal flott den Fön wärmend über seine üppige Haarpracht streifen und hielt Hof. Vorher waren alle Fragen schriftlich einzureichen und mit ihm abzusprechen. Das kann man verstehen. Man muss auf der Hut sein. Schließlich treibt dieses journalistische Wühlschwein Johannes Bakschisch Kerner sein Unwesen überall mit seinen unangenehmen Fragen, die einen flötenden Pianisten böse aufs Glatteis führen können.

In Herrn Rethy kämpfen die Gefühle. Hat Herr Ribéry jetzt aus Scham über das Geschenk den Elfmeter Herrn Lehmann direkt in die Arme gespielt, oder war das wieder eine dieser genialen Ideen, die Herr Hoeneß draußen großzügig entlohnt? Ich ahne es. Diese Szene werden wir beim Zweitverwertendsten Deutschen Fernsehen jetzt bis zum Erbrechen vorgeführt bekommen. Rethy kramt in seinen Notizen, aber kommt nicht drauf, was der gnomige Franzose außerdem an geistreichen Pointen produziert hat: Herr Ribéry hat unlängst einen Reisebus entführt und ist dabei gegen ein Schild gefahren. Hei, das war so lustig, dass sie in ZDF, ARD, DSF und allen anderen Sendern nicht umhin kamen, diesen spaßigen Vorfall wieder und wieder zu zeigen. Und wie sie alle gelacht haben, selbst Klinsis Meckerlacher war deutlich zu vernehmen. Mein Nachbar ist beim Jugendamt. Er hat mir erzählt, dass ein elfjähriger Bengel am nächsten Morgen versucht hat, den Bus der Linie 094 zu entführen, in Strandsandalen und Bayerntrikot. Den Bus hat er noch an der Haltestelle gegen eine Straßenlampe gefahren. Da ging das Licht aus und keiner hat gelacht. Der Junge kommt in eine Erziehungseinrichtung, wird vorher aber auf seinen Geisteszustand untersucht.



Herrn Ribéry bleibt das erspart. Er macht auf mich den Eindruck, als habe er mal in dem Film ?Der Glöckner von Notre Dame? mitgewirkt. An seiner Seite Herr Toni als verführerische Schöne. Lollo für Arme, sozusagen. Wenn ich nur wüsste, in welcher Rolle Ribéry mitwirkte. Wie es heißt, hat er in der Winterpause auch versucht, ein Techtelmechtel mit Uschi Glas anzufangen. Vielleicht nahm sie ihm die Konzentration beim Elfmeter. Andere spekulieren, dass Sandy Meyer-Wölden ihm nachgestellt habe, weil sie ihn für einen Spieler hielt. Aber von dem Busfahrer des FC Bayern wollte sie nichts wissen. Herr Lehmann hat den Ball inzwischen aufgefangen, was Herr Rethy andächtig als fast genial bezeichnet. Danach wühlt er sich durch diverse Statistiken, das Spiel wird durch die Pause und das ?Heute Journal? unterbrochen.

Die unverheiratete Schwester, Mutter, Tochter, Schwiegertochter (pardon, ich lese weder Bild noch Bunte) von Herrn Slomka führt durch die Welt der Nachrichten, zum mokanten Lächeln in den Mundwinkeln mit eiskalten Augen. Im ZDF haben sie nicht nur einen Rhetoriklehrer, der allen denselben merkwürdigen Sprachstil und -rhythmus einbläut. Die Mädels haben auch alle dieselbe blonde Helmfrisur, von Marietta Slomka über Gundula Gause bis hin zu Kristin Otto, über deren Vergangenheit in der Deutschen Doping-Republik der Mantel des investigativen Schweigens gelegt wurde. Johannes Bakschisch Kerner hat sie dazu bestimmt mal richtig hart in einem Studio auf dem Lerchenberg befragt, und sie hat knallhart immer ?njet? geantwortet.

Klärungsbedarf a la Lehmann...

Klärungsbedarf a la Lehmann...

Herr Rethy hat sich mittlerweile vom Tempo der Bayern erholt und stimmt auf die zweite Hälfte ein. Beim 0:5 kramt er in seinen Unterlagen und stellt fest, dass der VfB mal vor 16 Jahren mit 2:6 im Elfmeterschießen verloren habe. ?Das war die höchste Niederlage ? natürlich im Pokal?, sagt er. Ich bin überrascht. Das muss in dem Jahr nach der Entscheidung gewesen sein, dass Bundesligaspiele nicht mehr mit Elfmeterschießen entschieden wurden. Man lernt nie aus. Bela übrigens auch nicht. Aber er weiß alles. Also eigentlich nur über die Bayern. Der VfB hat ein paar Personalsorgen, verkündet er. Ich rätsele. Sind ein paar Ordner krank geworden? Leider bleibt eine weitere Erklärung aus. Bela erzählt von der Wintervorbereitung, von der eigentlich nichts weiß. Mehr weiß er über die Vorbereitung der Bayern. Hui, wie die sich vorbereiten. Die wechseln täglich die Unterwäsche, auch Herr Ribéry. Sogar menschlich arbeiten die Bayern an sich, berichtet Bayern-Bela. Ganz baff bin ich, als ich höre, dass die sogar gemeinsam essen gegangen sind. Ich dachte immer, die ließen sich ihre Nudeln während der Playstation-Schlachten aufs Zimmer bringen. Und jetzt haben die richtig an einem Tisch gesessen und gegessen? Phänomenal. Wer mag denn Ribéry Messer und Gabel geführt haben, als er das Lammkarree anging? Sicher hat der soziale Uli ihm geholfen. Vive la Bavaria. Er ist wirklich ein feiner Kerl.

Fünf Minuten vor dem Spielende hat einer der Zivis von Bela Rethy herausgefunden, dass die Bayern ein brandgefährliches Mittelfeld haben und deswegen vermutlich das Spiel bestimmten. Bela posaunt es raus, wiederholt es mehrfach bis zum Abpfiff und ist verzückt ob seiner großartigen Analyse. Ansonsten besticht er bis zum Schluss durch seine neutrale Haltung für die Bayern, ehe Johannes Bakschisch Kerner seine linke Gesichtshälfte versucht, in die richtige Kameraposition zu bringen. Die rechte Seite ist ein bisschen weniger gleichmäßig geformt, das liegt aber im Wesentlichen an seinem Watschelohr. Meine Frau grübelt immer, wenn sie das Ohr sieht, ob er mal in eine Kneipenschlägerei verwickelt war oder ob seine Frau ihm versehentlich mal mit ihrem Hockeyschläger eine verpasst hat und das Ohr traf. Kann auch sein, dass sie JBKs rechtes Öhrchen zum Anknabbern lecker findet.

Eine der Hilfsstichwortgeber am Spielfeldrand angelt sich Herrn Schweinsteiger, der gerade außer Schnaufen nichts zu tun hat. Wie geht der FC Bayern jetzt die Meisterschaft, den Pokal und die Champions League an? Schweini glotzt, Klinsi kriegt auch nichts gebacken. Das sind aber auch immer knallharte Fragen, die die ZDF-ler stellen!

Der servile Johannes versucht unterdessen Jogi Löw ein paar hochdeutsche Brocken zu entlocken, die auch nördlich des Hoeneß?schen Wurstäquators verständlich sind. Dann leitet der Mann, den das ZDF wegen einer simplen Moderation, die meine Oma besser gekonnt hätte, schon mal während der Olympischen Spiele von Peking nach Deutschland fliegen und zurückkehren ließ über zu anderen Spielen. Ein Kurzbericht über die Turbulenzen beim HSV, deren Fans Herr Kerner in neoliberaler Kürze als ?Sozialromantiker? abwatscht, schließlich ein Schwenk ins Stadion des VfB, wo Rasenpflege betrieben wird. ?Ein paar Unentwegte? seien da zu sehen, schmunzelt Herr Kerner. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er den Satz abgebrochen hat. Er klang nach ?unentwegte Bekloppte?. Aber was weiß der schon davon, dass um diese Zeit Menschen arbeiten, ihr schmales Einkommen trotz Mindestlohnregelung noch bei der Arge aufstocken müssen und zur Not eben auch an einem solchen Abend raus müssen, während Herr K. sich auf Kosten der ?unentwegten? Gebührenzahler die Unterhosen wärmt und das Konto füllen lässt.

Übrigens: In der nächsten Runde ist der FC Bayern wieder dabei. Das Spiel wird garantiert übertragen, und alle TV-Journalisten beten, dass die Bayern weiterkommen. Nur so, sie sind ja neutral.

, 28.01.2009 

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