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Bundesligarückblick Teil 1 - Flüge und Flüche

?Who-burg is the Champion in Germany?? fragte sich am Wochenende die englische Presse. Der Biedersinn wurde Deutscher Meister, weil Starrsinn und Stumpfsinn die Konkurrenz auf Abstand hielten. Die Saison 2008/2009 dürfte für viele als Triumph des Zufallsgenerators in die deutsche Fußballgeschichte eingehen. Pleiten, Pannen und Unzulänglichkeiten allenthalben. Wer diesmal nicht Meister wurde, hat selber Schuld.

Erfolg vernebelt oft die Sinne. Übermäßigem Alkoholgenuss kann nicht zugeschrieben werden, dass Trainer/Geschäftsführer, Spieler, Geldgeber und Journalisten beim Meistercorso durch die Wolfsburger Autostadt eine eigenwillige Wahrnehmung der Wirklichkeit verzeichneten. ?Wahnsinn, was hier abgeht?, stammelte ein ums andere Mal jemand in Mikrophone, während im Hintergrund vor biederen Siedlungshäusern weniger Zuschauer Spalier standen als bei Dorfschützenfesten. Nicht nur Krisen kann man sich schön reden. Auch Meisterschaften.

Hand aufs Herz. Was haben wir an 34 Spieltagen gesehen? Ja, es gab mitreißende Spiele, großartige Torszenen und Abwehrschlachten, Kuriositäten und Animositäten ? vor allem aber viele krachende Eigentore. Da aber die Symbiose zwischen Akteuren einerseits und Berichterstattern andererseits längst den kritisch-distanzierten Journalismus erstickt hat, müssen sich die Zuschauer die Bilder selbst im Kopf machen und ein Gespür für den kunstvoll gedrechselten Flachsinn entwickeln, der rund um die Spiele fabriziert wird.

Flüge und Flüche

So gab es wieder zahlreiche Freiflugscheine mit zum Teil satter Abfindung für Trainer. Arbeitsplatzverluste auf Trainerbänken werden inzwischen nur noch statistisch erfasst und ansonsten als ?normal? abgelegt. ?Normal? ist ohnehin das Unwort der Zeit bei Trainern. Werden sie kritisiert, ?ist das normal?, sagen die in der Vereinsführung und in der Öffentlichkeit unter Druck geratenen Übungsleiter. Statistisch ist leider nicht erfasst worden, dass Jürgen Klinsmann in dieser Saison häufiger ?das ist normal? hervorpresste als Thomas Doll bei Borussia Dortmund in der vergangenen Saison. ?Normal? ist inzwischen immer alles das, was eine unnormale Situation in einem Verein hervorgerufen hat.

Jos Luhukay wurde im Sommer in Mönchengladbach noch für den Wiederaufstieg gefeiert wie ein exorbitanter Heilsbringer. ?Normal? war, dass er wenige Wochen nach dem Saisonstart gefeuert wurde. Mit ihm räumte Azubi Christian Ziege den Sitz an der Seite von Hans Meyer, den die Fohlen-Borussen entmotteten. Mit einer Rosskur brachte er die Fohlen auf Trab, brach dabei in gewohnter Manier Führungsspielern das Kreuz und erreichte schließlich das rettende Ufer mit einem fußballerischen Stil und einer Mannschaft, die zwar nicht tauglich sind für die Anforderungen der Ersten Liga ist, aber dafür drin bleibt. Schaut man auf das Ergebnis, hat Meyer nach der Winterpause zweifellos Erstaunliches geleistet. Der Qualität der Liga hat er eher geschadet. Trotzdem wird er gefeiert. Die Liga spielt ergebnisorientiert, jammert aber über die immer größer klaffende Lücke zu den Spitzenteams im europäischen Fußball. Aber auch ?das ist normal?.

Das hätte sicherlich auch Jürgen Klinsmann gesagt. Der kalifornische Schwabe steht symbolhaft für die Janusköpfigkeit des FC Bayern München. Uli Hoeneß hatte Klinsmann bereits vor der WM 2006 als die Luftpumpe schlechthin auf einem Trainerstuhl enttarnt. Es hinderte denselben Hoeneß nicht daran, Klinsmann als Ersatz für den Magath-Ersatz Hitzfeld zu verpflichten. Der Bayern-Manager wird gerne als der kühl kalkulierende Macher bezeichnet, der mit Aufsehen erregenden Verpflichtungen aufwartet, die angeblich durchdacht sind. Klinsmanns Vertrag dürfte ein typischer Hoeneß-Reflex gewesen sein: Ehe sich ein anderer aus der Bundesliga den Klinsmann schnappt, holen wir uns den Mann selbst. Eine der vielen fatalen Fehleinschätzungen, die das Lebenswerk Hoeneß? pflastern, ohne dass sie je aufgearbeitet worden wären. Wie viele ?Missverständnisse? sind in den vergangenen 30 Jahren auf der Bayern-Bank und auf der Tribüne versauert? Von Calle del?Haye (noch vor der Hoeneß-Ära) bis Lukas Podolski wurden Spieler an die Bayern verschachert, um die Konten der ?Spielervermittler? zu füllen. Der unersättliche Moloch FC Bayern hat mehr Talente seelisch und sportlich zerstört als er jemals gefördert hat. Zur Zwiespältigkeit des Bayern-Managers gehört, grundsätzlich nie zu eigenen Worten zu stehen. Er verpflichtete sehenden Auges mit Klinsmann einen Mann, der kein Trainer ist und dessen Fähigkeiten nicht einmal ausreichten, um im Club Med den Animateur zu mimen. Standhaft verteidigte Hoeneß Klinsmann, meinte damit aber stets nur sich selbst. Er betrieb das so lange und beharrlich, bis er selbst unbeschadet aus der Nummer herauskommen konnte. Und Hoeneß zieht Pfeile nur dann auf sich, wenn er sie später alle zurückschießen kann. So kamen ihm die massiven Proteste der Fans sehr entgegen. Hoeneß schoss Klinsmann ab. Als der biedere und in vielfacher Hinsicht begrenzte Klinsmann Fußball-Doof Günter Jauch vorjammerte, Hoeneß habe mit Jupp Heynckes ein abgekartetes Spiel betrieben, lieferte er eine Steilvorlage. Der Bayern-Manager verbreitete, er habe Hitzfeld als Nothelfer angerufen. Doch der habe dem Flehen des Managers nicht nachgegeben. In Wahrheit ist Hitzfeld bei den Bayern ausgebrannt. Er kann sich solche Himmelfahrtskommandos nicht mehr antun. Also musste ein Trainer her. Jupp Heynckes reicht da allemal. Seine Leistung am Saisonende war eine schallende Ohrfeige für die Politik von Rummenigge und Hoeneß, weniger für Klinsmann. Heute fragte kein Mensch mehr, welcher Volldepp Klinsmann eigentlich nach München holte.

Oh, ihr bösen Fans

In einem aber steht Hoeneß dafür, dass Fußball kein gesellschaftliches Ereignis für zartbesaitete Selbstdarsteller ist. Er ist kein Event für die hirnrissige Spaßgesellschaft, die sich bei Länderspielen weiblich und blond auf den Tribünen tummelt und nur danach lechzt, von einer Kamera erfasst zu werden, um sich entdecken zu lassen. Auch das ist übrigens ein Erbe der Klinsmann-Ära beim DFB. Hoeneß ist in 30 Jahren oft übelst in gegnerischen Stadien beschimpft und geschmäht worden. Obwohl er so dünnhäutig wie eitel ist, hat der Bayern-Manager dies bald in stoischem Gleichmut über sich ergehen lassen. Wird jedoch ein selbsternannter Mammonmessias in Stadien etwas gröber angefasst als in vornehmen Aufsichtsräten und bei servilen Kreditgebern, gibt er das öffentliche Bild eines Jammerlappens ab. Dietmar Hopp, der das ?Wunder? der TSG Hoffenheim bezahlte, ließ in der ersten Saisonhälfte kein Mikrophon und keine Kamera aus, um sich selbst darzustellen. Dumm nur, dass der Kreisliga-Kicker von einst die Wirklichkeit auf den Rängen nie begreifen wird. Man muss ein rechter Einfaltspinsel sein, um nicht zu begreifen, dass man sich selbst und ohne Not zur Zielscheibe macht. VW-Chef Winterkorn hat sich da taktisch wesentlich cleverer verhalten. Er gab erst nach der Meisterschaft seine starke Zurückhaltung auf und feierte auch als Aufsichtsrat des FC Bayern. Die Wolfsburger Meisterschaft.

Hopps Auffassungsgabe ist dagegen so beschränkt wie seine Medienberater. Er wird und will die Seele des Fußballs nicht begreifen, und damit reiht er sich ein in die Riege jener, die sich Erfolg erkaufen und wundern, dass sie dennoch nicht geliebt, sondern geradezu gehasst werden. Der Begriff Wettbewerbsverzerrung kommt manchen Leuten nicht einmal in den Sinn, wenn um sie herum ganze Finanzimperien und Wirtschaftszweige zusammenkrachen, weil sie ihre eigenen Gesetze gemacht, die Mechanismen des Marktes mit Füßen getreten und Ethik zur Pflichtaufgabe nur der anderen erklärt haben.

Über den Miesepeter Ralf Rangnick und seine Knöttereien haben die Medien in den vergangenen Monaten viel geschrieben. Es lohnt nicht, sich mit diesem Dauernörgler auseinanderzusetzen. Es sei denn, man befasste sich nur mit den destruktiven Elementen in der Bundesliga, für die Sport nur dann Sport ist, wenn sie ihn ohne Unterlass gewinnen. Als der Erfolg ausblieb, schwanden erst das Charisma und dann das Medieninteresse. Rangnick sackte wieder ab auf der Niveau des Durchschnittstrainers. Sogar das ZDF-Sportstudio kündigte für die Rückrunde das Besuchs-Abo für Geistesgrößen dieser Kunstwelt aus tiefster Provinz. Hoffenheim aber wird uns nicht loslassen ? im Gegenteil. Wie ?Who-burg? wird der Verein, angetrieben von der zügellosen Eitelkeit eines erschreckend eindimensionalen Milliardärs, auch künftig mit dem Scheckbuch Erfolge erzwingen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass sich auch mit einer 50 +1-Regel jene Menschen des Profifußballs bemächtigen, die ihn irgendwann wirklich zugrunde richten werden. Diese Saison ist auch nur eine Durchgangsstation auf dem Weg dahin. Man braucht keinen Martin Kind in Hannover ohne 50 + 1-Regel. Hopp, Winterkorn und andere werden dafür schon sorgen.

 , 28.05.2009

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