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Chip Chip Hurra

Ein Tor, das eins war, aber dann eben doch keins, bewegt die Fußballnation. Ex-Herthaner Josip Simunic hatte am Samstagabend den Ball für seinen neuen Arbeitgeber Hoffenheim ins Tor des FC Bayern gewuchtet. Dessen Schlussmann Rensing erwischte die Kunststoffkugel hinter der Linie ? deutlich nur zu sehen für die TV-Kameras. Seitdem ist die Diskussion neu aufgeflammt, dass Torrichter, Torkameras oder auch ein Chip im Ball Fehlentscheidungen der Schiedsrichter verhindern sollten.

Es ist eine Diskussion aus der Mottenkiste, wieder einmal nur dem Augenblick geschuldet. Und die Hingabe, mit der sie geführt wird, hat weniger mit Gerechtigkeit als mit den Teams zu tun, die aufeinander trafen. Die nationale Aufregung wäre weitaus schwächer ausfallen, hätte es sich um einen Treffer im Spiel der Kategorie FSV Mainz gegen SC Freiburg oder 1.FC Nürnberg gegen Hannover 96 gehandelt. Die Medienmaschinerie bemächtigt sich solcher Themen in erster Linie dann, wenn der FC Bayern München beteiligt ist. Und dass Hopp-Klub Hoffenheim auch noch im Spiel war, sorgte für den zusätzlichen medialen Kick.

Es stellt sich die Frage, ob die maschinelle Unterstützung des Schiedsrichters die richtige Antwort auf ein Spiel ist, das gerade von menschlichen Unzulänglichkeiten lebt. Spielten für die Bundesligisten seelenlose Roboter, dann könnten Trainer sie so programmieren, dass ihnen keine Fehler unterlaufen. Tore fallen aber nur durch Fehler im Defensivverhalten einer Mannschaft. Faustregel: Einer pennt immer. Dies kann man hinterher genüsslich aufbröseln und den oder die Schuldigen suchen. Es ändert aber nichts am Spiel an sich. Auch das famoseste Tor ist nur dann möglich, wenn Gegenspieler vorher einen Fehler begehen. Das aber ist Fußball.


Jeder hat's gesehen, nur Rafati nich... Quelle: ZDF (Screenshot)

Jeder hat's gesehen, nur Rafati nich... Quelle: ZDF (Screenshot)



Brauchen wir Torrichter? Nein. Zur programmierten Aufgeblasenheit der Schiedsrichter und ihrer euphemistisch als Assistenten bezeichneten Winkemänner an der Seitenlinie sowie der Sheriffs vor den Trainerbänken kämen zwei weitere Kunstfiguren, die keiner braucht. Sechs (!) Unparteiische (?) bei jedem Bundesligaspiel? Nein, danke. Es käme der Tag, an dem die Mittellinie von einem Linienrichter überwacht würde, neben jeder Trainerbank ein Trainerrichter stünde und an jedem Eckfähnchen ein Eckensteher postiert würde. Eine Überwachungstruppe in Stärke einer Fußballmannschaft, die selbstredend noch ihre auf allen Tribünen verteilten Kontrolleure hätte. Der Überwachungsfußball wäre perfekt.

Brauchen wir eine Torkamera? Die ins Netz eingehängte Kamera ist schon ebenso überflüssig wie das in luftiger Höhe über dem Spielfeld dahinschwebende TV-Auge. Es liefert verwirrende Bilder, verzerrt Spielzüge und bringt absolut nichts. Mediale Mätzchen einer verzweifelt nach TV-Event suchenden Geldmaschinerie, aber kein erhellender Beitrag für den Zuschauer zu Hause ? oder den Torkamera-Richter am Spielfeldrand.

Das gilt auch für die Torkamera selbst. Wer das Spiel des BVB gegen den 1.FC Köln gesehen hat, erinnert sich an eine Szene in der ersten Halbzeit, als der Ball bereits im Kölner Tot gewähnt wurde. Kölns Torhüter Mondragon hockte halbwegs über dem Ball, der auf der Linie lag, was sich erst herausstellte, als der Torhüter aufstand. Eine Torkamera hätte diese Szene niemals aufschlüsseln können.

Brauchen wir den Chip im Ball? Wehret den Anfängen solcher Totalüberwachung, auch wenn die nun wahrlich nicht als Speerspitze des denkenden Fußballfortschritts agierenden Schiedsrichter sich das Hilfsmittel vorstellen könnten. Es ist verlockend, die eigene Wahrnehmung mit ihrer naturgemäßen Fehlerhaftigkeit einer Maschine zuzuschanzen. Ist der Ball im Tor, sendet der Chip ein Signal, das auf der Armbandanzeige des Schiedsrichters ein grünes Kontrolllämpchen auslöst. Er entscheidet auf Tor. Registriert der Chip, dass der Ball nicht in voller Umdrehung die Linie überschritten hat, blinkt es Rot.

Doch wäre das nur der Anfang einer zunehmend seelenlosen Spielaburteilung. Bald hätten Spieler einen Chip im Schuh, der dem Schiedsrichter signalisieren könnte, ob ein Fußballer zuerst den Ball und dann den Gegenspieler getroffen hat oder umgekehrt. Mit dem Chip und entsprechenden Einrichtungen an der Seitenlinie ließen sich Abseitsstellungen punktgenau ermitteln. Es ließe sich feststellen, ob ein Spieler den Fuß zu hoch hatte, genau nach seinem Körpermaß eingestellt.

Und es gäbe Trainer, die nach einer solchen Regelung geradezu gierten. Sie könnten jeden Schritt und Tritt ihrer Spieler aufnehmen und speichern und später auswerten. Die Maschine Mensch wäre geboren, seine Individualität und damit der Fußball zu Grabe getragen.

Fußball benötigt aber Emotionen. Die Debatte um vermeintliche oder wirkliche Fehlentscheidungen belebt das Umfeld eines Spiels. Fußball lebt von den Unzulänglichkeiten, die sich allem intensiven Training zum Trotz immer wieder einschleichen. Er lebt auch von Unzulänglichkeiten der Schiedsrichter. Der Chip wäre das Ende aller Emotionen. Zuschauer reckten die Hälse in Richtung Anzeigetafel, wo es bei strittigen Situationen grün, gelb oder rot aufblinkte. Wollen wir das? Ich nicht.



Lieber wäre mir, wenn Spieler Charakter hätten. Er ging einem gewissen Thomas Helmer ab, als er vor einigen Jahren für die Bayern den Ball am Tor vorbeischoss. Das Leder (es war damals noch Leder) rutschte dann seitlich doch ins Tor. Die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters, der dies nicht richtig gesehen hatte, galt damals. Richtiger wäre es gewesen, Helmer für mindestens ein halbes Jahr wegen offensichtlichen Betruges zu sperren und eine saftige Geldstrafe aufzubrummen. So etwas förderte den Charakter und den Sport.

Lesenswert dazu: Tageszeitung >>  , 11.08.2009

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