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Typisch Ottmar!

?Typisch Ottmar?, sagte Mehmet Scholl im ZDF und drückte damit höchsten Respekt für seinen ehemaligen Coach aus. Denn Ottmar Hitzfeld, seines Zeichens ?Trainerfuchs? der alten Garde, hatte sie mal wieder alle genarrt. Der Schweizer Nationaltrainer verzichtete vor dem Spiel gegen die scheinbar übermächtigen Spanier letztendlich zwar auf personelle, nicht aber auf taktische Tricks. ?Meine besten Spieler haben es verdient, gegen den Europameister zu spielen?, beschied der in Dortmund längst unsterbliche Südbadener und verwarf damit doch noch eine verblüffende Idee.

Aus dem Alpenland ist überliefert, dass Ottmar Hitzfeld kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft überlegt haben soll, ob er eine urdeutsche Finte kopieren soll. Sie ist zwar schon 56 Jahre alt, hatte damals aber mit bekanntem Ausgang hervorragend funktioniert und den größten deutschen Trainer-Mythos aller Zeiten begründet. ?Seppl? Herberger hatte bei der WM 1954 in der Schweiz die beste Mannschaft der Welt überlistet und sein Team von der Außenseiterrolle bis zur Weltmeisterschaft geführt. ?Ich habe tatsächlich an Herberger gedacht und daran, nicht die Stammelf sofort im ersten Spiel zu verheizen?, sagte Hitzfeld vielsagend, als er im Vorfeld nach seinem Plan für die erste, fast unlösbar scheinende Aufgabe dieser WM befragt wurde, ausgerechnet gegen Europameister Spanien antreten zu müssen.

Damals hatte ?der Alte? in der Vorrunde im Spiel gegen die übermächtig scheinenden Ungarn seine besten Kräfte für die entscheidende Partie gegen die Türkei geschont. Man kassierte augenzwinkernd eine 3:8-Pleite gegen den großen WM-Favoriten, was der Borusse im Tor, Heinrich Kwiatkowski, zeitlebens nicht mehr vergessen sollte. Als Vermächtnis der 54er ist überliefert, dass der Plan auf ging, man die Türken schlug und weiter kam. Und am Ende, im Finale, in dem man dann ein zweites Mal auf die bärenstarken Ungarn traf, hatte sich längst ein zweiter nutzbarer Vorteil dieses Bluffs ergeben, denn die übermütigen Magyaren unterschätzten prompt ihre Deutschen Gegner unter dem Eindruck des Vorrundenspiels, was fatale Folgen hatte. So entstand das ?Wunder von Bern.?

Was die Ungarn 1954 waren, repräsentieren die Spanier 2010. Die Ungarn hatten damals seit vier Jahren nicht mehr verloren. Die Iberer hatten 34 ihrer 35 vergangenen Partien gewonnen. Kein einziges Unentschieden war dabei seit Anfang 2007, nimmt man mal das 0:0 gegen Italien im EM-Viertelfinale aus, das sie dann im Elfmeterschießen gewannen. Verloren haben sie in den vergangenen knapp vier Jahren nur eine Partie, gegen Amerika beim Confed Cup 2009.

Ein solch überlegenes Nationalteam hat es im Weltfußball nicht mehr gegeben seit den Brasilianern von Pelé und Garrincha vor einem halben Jahrhundert. ?Sie sind ein übermächtiger Gegner?, konstatierte Hitzfeld artig in der Pressekonferenz vor dem Aufeinandertreffen. ?Sie sind auf jeder Position mit Weltklasse besetzt. Es ist die beste Mannschaft der Welt, sogar stärker als Brasilien.? Es stand also durchaus zur Debatte, einige Kräfte zu schonen für den Kampf um Vorrundenplatz zwei, gegen Chile und Honduras.

Doch Hitzfeld wäre nicht Hitzfeld, wäre er nicht für Überraschungen gut. So hat er sich nach längerem Nachdenken dann doch entschieden, nicht den Herberger zu geben und verkündete: ?Meine besten Spieler haben es verdient, gegen sie zu spielen. Wir werden nicht mit einer Rumpfelf antreten.? Schon deshalb nicht, weil das auch respektlos gegenüber Vicente del Bosque (?die Schweizer haben einen der besten Trainer der Welt?), einem alten Freund und geschätzten Kollegen gewesen wäre.

Das erstaunliche dabei: die beiden erfolgreichsten Vereinstrainer ihrer Zeit, die je zweimal die Champions League gewannen, erleben nun als ?ältere Herren? ihre erste Weltmeisterschaft - del Bosque mit 59 Jahren und Hitzfeld mit 61 Lenzen, doch gerade er hätte das Vergnügen schon 2006 haben können, doch nach Rudi Völlers Überraschungs-Rücktritt 2004 lehnte er das Risiko seinerzeit ab, Bundestrainer zu werden. Eine Entscheidung, die er übrigens angesichts seiner Titelsammlung bis heute nach eigener Aussage keineswegs bereut. ?Ich habe sechs Jahre die Bayern trainiert und fühlte mich ausgelaugt?, sagte er. ?Ich hätte das Amt nicht mit dem Elan ausüben können, den es zwei Jahre vor der Heim-WM erforderte.?

In ihrer über hundertjährigen Geschichte hatte die Schweiz bis gestern in 18 Spielen noch niemals gegen Spanien gewonnen. Doch die vom Ex-Borussen Alex Frei angeführten Eidgenossen entwickelten sich stetig und spielen nun schon das vierte große Turnier seit der EM 2004 hintereinander. Ohne Frage eine enorme Leistung für ein kleines Land wie die Schweiz.

Umso höher ist dieser Sieg nun zu bewerten. Das Team habe zwar Geschichte geschrieben, doch sei die Truppe aber noch nicht am Ziel, warnt der Erfolgstrainer ?Augenmaß? an. Es sei ein schönes Gefühl, mit drei unerwarteten Punkten zu starten, gegen den Topfavoriten zu gewinnen und darüber hinaus eine gute Leistung gebracht zu haben. Das befriedige sehr. Sind Sie sich der Tragweite dieses Sieges bewusst, wurde der siegreiche Coach gefragt und er antwortete auf seine ihm eigenen Weise in sich gekehrt: ?Mir ist schon bewusst, dass wir heute einen historischen Sieg gelandet und Geschichte geschrieben haben. Aber ich habe immer gesagt: Irgendwann wird das erste Mal sein. Ich bin sehr glücklich, das ist ein Geschenk, das wir gerne annehmen, uns aber auch hart erarbeitet haben.? Typisch Ottmar eben.

, 17.Juni 2010

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