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Erschreckende Darbietung gegen Nippon

10 Tage vor dem Tag X, dem Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft in München, präsentierte sich unsere Nationalmannschaft gestern Abend in der Leverkusener ?Bay-Arena? gegen Zicos Japaner müde und konzeptlos. Trotz dem moralischen Kraftakt ? verbunden mit dem letztendlich unverdienten Ausgleich zum 2:2 - muss sich Bundestrainer Jürgen Klinsmann nach dem vorletzten Testspiel vor der WM kritische Fragen zur Form seiner Mannschaft gefallen lassen. Klar scheint momentan nur zu sein, dass noch viel Arbeit vor der deutschen Nationalmannschaft liegt, damit sie nicht schon am 9. Juni gegen Costa Rica eine böse Überraschung erlebt.

Schwadroniert schon vom Ausstieg im Mißerfolgsfall: Grinsi-Klinsi

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Was die 22.500 Zuschauer in Leverkusen und das Millionen Publikum vor den TV-Geräten gestern zu sehen bekamen, war in der dargebotenen Verfassung nicht WM-tauglich. Darüber kann auch das Endergebnis nicht hinwegtäuschen, da die Problemzonen klar erkennbar waren und die spanische Zeitung Cadena Ser sogar zu der Meinung trieb ?die schlechteste deutsche Mannschaft aller Zeiten? gesehen zu haben. Eine sicherlich völlig übertriebene und reißerische Schlagzeile, die aber deutlich macht, dass Klinsmanns Elf es wieder einmal verpasst hat ein Ausrufezeichen zu setzen. Viel mehr liefert man ein ums andere Mal der ?Sensationsgier? der ausländischen Presse Steilvorlagen und darf sich daher auch nicht wundern, wenn diese dann eiskalt verwandelt werden.

Die größten Probleme liegen ? und das nicht erst seit gestern ? in der Verteidigung. Erschreckend ist an der Tatsache allerdings, dass sich an diesem Zustand seit über einem Jahr nichts gravierendes verändert hat. Eine Stagnation auf sehr fragwürdigem Niveau. Der Innenverteidigung um Mertesacker und Metzelder fehlt die Aggressivität, Jansen die Erfahrung und Schneider schlicht und ergreifend die Fähigkeit als rechter Verteidiger solide zu agieren. Schon Anfang der ersten Halbzeit zeigte sich, dass die deutsche Hintermannschaft vor großen Problemen stand, sobald die flinken und dribbelstarken Japaner zum Angriff ansetzten. Kapitalen Abspielfehler im Spielaufbau ? fast abwechselnd mal von Borowski, Ballack oder Frings ?,  folgte ein zu langsames Umschalten der Verteidigung. So war es für die japanischen Stürmer Takahara und Yanagisawa ein Leichtes, die teilweise hoffnungslos überforderte deutsche Defensive zu überrumpeln und zu überlaufen. Einen möglichen Rückstand vor der Pause verhinderte nur Jens Lehmann, der nach seinem ?Trauma? vom Champions League Finale gut erholt und fehlerlos agierte und schon nach knapp einer viertel Stunde seine Vorderleute mit einer Fußabwehr gegen Nakara im Spiel hielt.

Letztendlich war es eine Standardsituation der deutschen Mannschaft, die zur verdienten Führung der Japaner führte. Nach einer schlampigen Ecke von Schweinsteiger, die wie alle Ecken zuvor auch von der japanischen Verteidigung per Kopfball geklärt wurde, setzten die Asiaten einen schulbuchmäßigen Konter, der zum 1:0 führte. Yanagisawa spielte den Ball steil auf Takahara und der kurz zuvor eingewechselte Jens Nowotny verlor das Laufduell gegen den Neu-Frankfurter, nachdem er durch einen Stellungsfehler das Abseits aufgehoben und den Spielzug erst ermöglicht hatte. Takahara nutzte diese Gelegenheit und fand urplötzlich seine Torgefahr wieder, die ihn in beim Hamburger SV verlassen hatte. 

Einziger "Gewinner" gegen Japan: Schnösel-Jensi

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Über mangelnde Qualität muss sich jedoch nicht nur die Deutsche Verteidigung Gedanken machen. Der japanische Fußballverband sollte jedenfalls ernsthaft in Betracht ziehen seinen Ausstatter zu wechseln. Denn trotz dem fast körperlosen Spiel von Klinsmanns Elf, schaffte es Borowski mit einem kleinen ?Zupfer? das Trikot seines Gegenspielers problemlos in zwei Teil zu zerreißen. Folglich verzichtete sich die deutsche Mannschaft, der dieses Missgeschick scheinbar peinlich war, daraufhin gänzlich auf Körperkontakt mit den Japanern und bot stattdessen vorbildlichen Geleitschutz. Die Japaner, sichtlich gerührt von der deutschen Gastfreundschaft, kombinierten fleißig um den Strafraum von Jens Lehmann herum und so bedankte sich erneut Takahara, diesmal nach einem Zuspiel von Komano, mit seinem zweiten Tor und der 2:0 Führung.

So wird es einem langsam aber sicher auch verständlich, warum die Marca davon spricht, dass ?Deutschland einem fast Leid tun konnte?. Es ist schier unverständlich, warum eine Mannschaft, die seit zwei Jahren nur auf ein Ziel, nämlich die Weltmeisterschaft im eigenen Land, hinarbeitet, nicht mal zwei Wochen vor deren Beginn eine bis zu diesem Zeitpunkt völlig indiskutable und erschreckend schwache Vorstellung bot. Wo war denn ein klares Konzept? Wo waren die Ideen? Wo war denn zumindest die Leidenschaft, der Wille und der Kampf, immerhin elementar wichtige Eigenschaften, die die Basis für eine erfolgreiche WM sein sollten?

Torsten Frings, der sich als defensiver Mittelfeldspieler von hinten heraus für den Spielaufbau verantwortlichen zeichnen muss, fand überhaupt nicht statt und wenn er dann doch mal in Ballbesitz war, schien er mit der Situation überfordert zu sein und verlor den Ball in den meisten Fällen prompt wieder. Fraglich auch, wie genau das Konzept aussah, dass Klinsmann und Löw ausgearbeitet hatten. Tim Borowski in der Zentrale auf der Ballack-Position konnte auf jeden Fall zu keiner Zeit seine positiven Eindrücke aus der Bundesliga und dem Nationalmannschaftstraining bestätigen, viel mehr wirkte er als Hemmschuh und wurde Mitte der zweiten Halbzeit völlig zu recht gegen den Dortmunder David Odonkor ausgewechselt, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger vereinzelt Akzente setzen konnte und das Spiel der deutschen Mannschaft an sich belebte. Auch Michael Ballack, der im sich im rechten Mittelfeld wieder fand, konnte dem Spiel nie seinen Stempel aufdrücken und ging mit dem Rest seiner Mannschaft mehr oder weniger unter. Einzig und allein Bastian Schweinsteiger und Marcel Jansen, die gemeinsam die linke Angriffsseite bearbeiteten, vermochten es ab und an Kombinationsfußball zu zeigen. Den finalen Pass in die Spitzen auf Podolski oder Klose konnten sie allerdings auch nicht setzen und so ist es wenig verwunderlich, dass diese Beiden mit wenigen Ausnahmen sprichwörtlich ?in der Luft hingen?.

Optimismus oder Größenwahn? Ballack & Co. wurden heute in Düsseldorf von 40.000 Fans beim öffentlichen Training gefeiert

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So grotesk dann aber der folgende Verlauf des Spiels war, so sehr müssen wir letztendlich unsere Hoffnungen auf die gezeigte Leistung in den Schlussminuten setzen. Nach dem 0:2 nämlich, zu einem Zeitpunkt, wo das Spiel eigentlich schon verloren war und erste Pfiffe durch die ?Bay-Arena? zischten ? kurz nachdem der ARD-Kommentator Steffen Simon übrigens noch davon sprach, dass die Fans bedingungslos hinter der Mannschaft ständen -, leitete Schweinsteiger mit einem Freistoß und dem folgenden Tor zum Anschlusstreffer von Klose die Wende ein. Eine Standardsituation wohl gemerkt, nachdem ein dutzend Ecken zuvor völlig planlos und ungefährlich in den japanischen Strafraum geschlagen worden waren. Nun schien die Mannschaft, an der Ehre gepackt, ihre Moral und ihren Willen wieder gefunden zu haben, so kurz vor der Weltmeisterschaft nicht in einem Testspiel untergehen zu wollen. Belohnt wurde das Engagement schließlich sogar noch mit dem Ausgleich, zum 2:2 durch Schweinsteiger, der erneut einen Freistoß, diesmal von Schneider getreten, per Kopfball im Tor von Kawaguchi versenkte.

Wieder mal ein 2:2 also, wie schon im vergangen August gegen die Niederlande und wieder spricht das Ergebnis eine deutlich andere Sprache als das Spiel. Über 70 Minuten ließen die Japaner praktisch keine Torchancen zu, kombinierten sicher und sahen wie der klare Sieger aus. Doch zwei kleine Unachtsamkeiten wurden im Endeffekt hart bestraft. Für die deutsche Mannschaft bleibt festzuhalten, ?dass noch einiges aufzuarbeiten bleibt in den nun mehr neun Tagen bis zum Eröffnungsspiel?, um es mit Theo Zwanzigers Worten zu sagen. Denn damit trifft er exakt den Punkt und fasst die momentane Situation treffend zusammen. Auch wenn sich Ballack und Co mitten im Trainingslager befinden und sich körperlich mitunter zur Zeit in einem kleinen Tief sind, bleibt festzuhalten, ?dass wir zu viele Chancen zugelassen haben? (O-Ton Klinsmann). Und eines ist auch klar. So einen (glücklichen) Kraftakt, wie gestern Abend gegen Japan, können wir nicht immer erwarten. Da kann man fast schon froh sein, dass Costa Rica (0:4 gegen die Ukraine), Polen (1:2 gegen Kolumbien) und Ecuador (1:2 gegen Mazedonien) ebenfalls noch nach ihrer Form suchen ?

, 31.5.2006

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