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"Heimspiel in Wembley!" Ein Erlebnisbericht.

Aus dem deutschen Nationalstadion in London
berichten Robert Bolz und Christoff Strukamp

Kirsche-Redakteure Christoff & Robert in Wembley

Es ist Donnerstag, der 12. Juli 2007, irgendwann gegen 12:37 Uhr. In der Halbzeitpause der Marketing-Vorlesungen in München und Dortmund ereignet sich folgender Dialog zwischen den bereits oben genannten Personen: ?Du Kurz, ich habe schlechte Nachrichten?, meldet sich der BWL-Student aus München. Am anderen Ende der Leitung macht sich schnell Ernüchterung breit. Der große Traum von Wembley scheint dahin. Ein leises ?Och nee? bringt der Student aus Dortmund gerade noch heraus. ?Du wirst ganz schön arm, rate mal wo dein Sommerurlaub hingeht?, vermeldet München drauf - hämisch grinsend und wissend, dass der DFB Fanclub uns soeben zwei Karten für das Auswärtsspiel in London zuloste. Zwei von 8000 Karten, zwei von über 20.000 Bestellungen, die in der DFB-Zentrale eingingen. Wahnsinn.

Die unspektakuläre Zwischengeschichte, die von einem unwichtigen Besuch des Münchener Heimsieg-Garanten am Samstag in einer noch viel unwichtigeren Stadt bei einem noch viel unwichtigeren Verein ihr tristes Dasein fristet, sei hiermit nur kurz angerissen, denn unser Blick galt dem glorreichen 22. August 2007. Ein Tag, an dem Geschichte geschrieben werden sollte, ein Tag an dem wir beide im legendären Wembley sein sollten, um unsere Mannschaft wieder siegen zu sehen.

Bereits 30 Stunden vor dem Spiel der Spiele zwischen den so ?verfeindeten? Engländern und Deutschen machen wir uns also auf den Weg in die englische Hauptstadt. Der Flug von Dortmund nach Luton verläuft dank Steward Hans-Peter und seiner Crew wenig spektakulär. Dank der pünktlichen Ankunft in unserem Hotel am Londoner Kings Cross entschließen wir uns dazu das englische Bier schon mal vorab zu erkunden. Das Carlsberg ExtraCold, das wir in der kleinen Kneipe in unserer Straße einnehmen, kann die so unterschiedlichen Geschmäcker aus dem Ruhrgebiet und dem bayrischen Freistaat zufrieden stellen, so dass wir uns kurzer Hand darüber einig werden noch ein wenig hier zu verweilen. Womit wir auch bei einer elementaren Frage unserer Reise angelangt wären. Wer von Euch kennt Darren Anderson? Dieser britische Teufelskerl, den Ronaldinho des Crickets, wie wir bald feststellen werden. Es vergehen ein paar Runden Bier, die wir inzwischen mit zwei weiteren Deutschen an unserem Tisch einnehmen, während Anderson wirft, und wirft und wirft. Die Regeln, wenn es denn welche gibt, werden wir hoffentlich noch früh genug erfahren.

Als sich der Pub gegen kurz vor elf zur Überraschung aller leert und die Bedienung sich bereits gen Feierabend verabschieden beenden wir unser gemütliches Sit-In und erkunden noch ein wenig die Londoner Innenstadt. Als wir aber weder am Oxford noch am Piccadilly Circus einen Pub finden, der uns zu später Stunde noch auf ein Bier einlädt, verabschieden wir uns gen Hotel, wo Andersons Wunderwürfe in der Zusammenfassung bereits über die Mattscheibe flimmern.

Stets darauf bedacht das festgefahrene Bild der englischen Bürger über Deutsche in den Grundmauern zu erschüttern erschließen wir uns dazu, erst eine viertel Stunde vor Ablauf der Frühstückszeit am Buffet zu erscheinen. Da ein Münchener, den wir hier nicht beim Namen nennen wollen, aber vergisst seine Uhr der Greenwich Mean-Zeit anzupassen erscheinen wir überraschend pünktlich und wenig ausgeruht zu Scrambled Eggs und Obstsalat.

Unser Morgenspaziergang (wir hatten ja Zeit, danke dafür!) führt uns von Kings Cross zur bekannten Baker-Street, an der sich Madame Tussauds und Planetarium aneinanderreihen. Von hier aus unternehmen wir eine kleine Stadtrundfahrt, die uns an den Sehenswürdigkeiten der Londoner Innenstadt vorbeiführt. Kurz vor dem Buckingham-Palace legen wir in einem gemütlichen Pub eine kleine Zwischen-Mahlzeit ein. Unsere deutsche Reisegruppe hat sich dank Alex aus Ulm bereits auf drei erhöht und dank einer ausgiebigen Fish- & Chips Mahlzeit erfahren wir erstmals, dass die englische Küche gar nicht so schlecht ist, wie wir bisher dachten.

Nach einer kurzen Pause, in der wir Regenjacke mit Deutschland-Trikot tauschen, geht es zurück zum Piccadilly Circus, wo bereits zahlreiche deutsche Schlachtenbummler dem Spiel der Spiele entgegenfiebern. Keine 100 Meter von den großen Leuchtreklamen entfernt finden wir einen gemütlichen Pub, der bei unserer Ankunft bereits fest in deutscher Hand ist und in dem das Bier in Strömen fließt. Zwischen den ersten Gesangseinlagen schaut immer wieder mal die Polizei nach dem Rechten. In ihrer freundlichen wie lockerer Art zeigt sich hier wieder einmal ein Paradebeispiel an guter Polizeiarbeit während eines so brisanten Fußballspiels, zum den sich halb London langsam in Schwarz Weiß auf der einen und Rot Weiss auf der anderen Seite färbt.

Gute zweieinhalb Stunden vor dem Spiel machen wir uns endlich auf den Weg in Richtung Fußball-Tempel Wembley. In den engen Gängen der Londoner U-Bahn weisen zwei lustige Deutsche dem britischen Anhang auf ein leeres Gleis hin. ?This is your way to the European Championships?, erklärt der Herr im Ballack Trikot, während ihm heiteres Gelächter von allen Seiten entgegen springt.  An dieser Stelle bereits ein großes Lob an die unheimlich vielen netten und lustigen Menschen aus beiden Ländern, die diesen Tag so unvergessen machten und die anschließende Fahrt zum Wembley-Stadium in einem gesanglichen Schlagabtausch enden ließen. ?There?s only one Didi Hamann? schallt es immer wieder durch die proppenvolle U-Bahn-Wagons, während die Engländer nichts unversucht lassen an das denkwürdige 1:5 aus München zu erinnern und selbst den in Ungnade gefallenen Torjäger Emile Heskey besingen.

Angekommen an der Wembley-Station geht es auf einen gut 800 Meter langen Fußmarsch zum immer im Blickfeld liegenden Nationalheiligtum der Engländer (und ab jetzt auch der Deutschen). Da war es. Noch völlig unbeleuchtet und doch so der Maßen monströs und erhaben, dass der Weg zu einem Parcourlauf wird, weil man immer wieder den posierenden Menschen ausweichen muss, die sich vor diesem großartigem Bauwerk ablichten lassen.

Vorbei an den fast lachhaften Eingangskontrollen geht es zur ersten Verteilerebene, wo sich zahlreiche Deutsche bereits über Bier und Würstchen zu akzeptablen Preisen hermachen. Eine dreiviertel Stunde vor Anpfiff sind wir dann endlich drin. Wir durchqueren ein graues Eingangstor und die zweisprachigen Ordner, ehe drei monströs wirkende Zuschauerränge auf uns hinabblicken und dem Staunen nur langsam echte Vorfreude weichen muss. Bereits 15 Minuten vor Anpfiff ist der Unterrang voll. 8000 Deutsche freuen sich auf ein wahres Fußballfest, welches die Engländer als passende Gelegenheit nutzen, um sich für die großartige Gastfreundschaft der Deutschen während der WM 2006 zu bedanken. Auf unseren Stühlen liegen bereits große Plastik-Tüten, aus denen pünktlich zur Nationalhymne eine riesengroße Deutschland-Fahne wird. Auf der gegenüberliegenden Seite erstreckt sich die Fahne der Engländer mit dem unübersehbaren Zusatz ?Danke für 2006?, während 80.000 Briten ?God save the Queen? schmettern. Es soll einer der lautesten Momente auf Seiten der Engländer werden.

Tolle Aktion: Englands Danke für 2006

In den folgenden Minuten sehen wir eine flotte Anfangsphase dieses Klassikers. In der neunten Minute erbebt das Stadion förmlich, als der vor dem Spiel noch verschmähte Frank Lampard das 1:0 markiert. Durch die Führung beginnt auch die englische Sangesfreudigkeit und ergibt eine beeindruckende Lautstärke. Nach Minuten des Schocks über das frühe Tor erwachen auch die mitgereisten Deutschen. Und das nicht nur auf den Rängen, sondern vermehrt auch auf dem Rasen. Als England-Keeper Robinson den Ball vor die Füße von Kuranyi abtropfen lässt gibt es im deutschen Block kein Halten mehr. Als sich Christian Pander in seinem ersten Länderspiel dann auch noch mit einem 25 Meter Hammer in die Torjägerliste einträgt brechen alle Dämme. Keine zwei Minuten nach der deutschen Führung erfolgt der nächste Nackenschlag für die 80.000 frustrierten Engländer. ?Football?s coming home? schallt es immer wieder durch das ehemalige Wohnzimmer unserer Gastgeber. Dem englischen Fußball-Klassiker folgt ein weiteres ?You only sing when you?re winning?, ehe die Engländer die offene Provokation mit der mittlerweile traditionellen Erinnerung ?Ten German Bombers? entgegnen. Ein großartiger Schlagabtausch, den wir und da waren sich alle einig, locker gewinnen.

Bereits fünf Minuten nach dem Pausentee sind es ausschließlich die Deutschen Fans, die hier noch für Stimmung sorgen. Siegessicher starten die 8000 Mitgereisten eine LaOla-Welle nach der anderen, weil der englische Anhang weder Spaß noch Freude an der offenen Demütigung findet und sich nach der x-ten 100%-igen, die ihre Helden vergeben, geschlagen gibt. Als Schiedsrichter Busacca aus der Schweiz den 2:1 Auswärtssieg der Deutschen besiegelt schallt es aus dem Gästeblock bereits zum fünften oder sechsten mal ?Oh wie ist das schön?. Nach ausgiebiger LaOla und Humba verabschiedet sich die in rot gekleidete B-Elf der Deutschen in die Kabine. Draußen auf den Rängen dagegen denkt niemand ans nach Hause gehen - insofern er aus dem Land kommt, dass schon seit den 70er Jahren in Wembley ungeschlagen ist.

Als die Technik bereits das Fluchtlicht dämmt und das leere Wembley Stadium seine volle Pracht noch einmal zu Tage fördert stehen wir unten am Spielfeldrand und blicken zurück auf eines der unvergesslichsten Auswärtsspiele, die wir je erlebt haben und je erleben werden.

Als uns auch der letzte, der mit Krawatte und Anzughose gekleideten Ordern freundlichst bittet zu gehen verlassen wir unser neues Wohnzimmer und danken für die nicht für möglich gehaltene Freundlichkeit, die uns Deutschen an diesem Abend entgegengebracht wurde. Auf den Straßen vor der Wembley Station bleibt es ruhig. Die Engländer beschreiten betrübt, aber als faire Verlierer - die Deutschen ausgelassen, aber nicht übermütig, den Weg in Richtung Innenstadt. Dort angekommen heben wir noch im Club Zoo noch ein paar Bierchen, ehe wir völlig K.O. die kleine Deutschland-Fahne aus unserem Hotelzimmerfenster hängen und den ereignisreichen Tag beschließen. Auswärtssieg in London. Wahnsinn!

Siebzehn Stunden nach der einzig angemessenen Einweihung des neuen Wembley-Stadium sitzen wir erschöpft im Airbus 310, ehe als letzter Fluggast Jens Lehmann die Maschine gen Dortmund-Wickede betritt und ja: Hätten uns die Turbulenzen über Südost-England nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht wir hätten ihm seine ganz persönliche Humba gewidmet. Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben und das nächste "Heimspiel in Wembley" kommt bestimmt...


- 24.08.08

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