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Servus mitanand...

Ein Stimmungsbericht aus der österreichischen Hauptstadt
einen Tag vor dem "Endspiel" in der Gruppe B...

Die ansonsten liebevoll gehegte und gepflegte Contenance ist dem Wiener in diesen Tagen ziemlich egal. Die Stadt ist vom Fußball-Fieber gepackt. Und dieses Fieber hat es noch immer geschafft, alle Rationalismen auszuschalten. Das ist im Wien dieser Tage nicht anders. 74.000 völlig entrückte Fans am Donnerstagabend beim 1:1 gegen Polen führten dazu, dass die Fanzone am Rathausplatz zeitweise geschlossen werden musste.

Nichts ging mehr, doch heute gegen die Deutschen soll alles gehen. Der Euro-Wahn, die einmalige Chance, die vielen Misserfolgserlebnisse der Vergangenheit mit einem Sieg ausgerechnet gegen den Rivalen aus dem Norden mehr als vergessen zu machen, fordert den forschen, den frechen Österreicher geradezu heraus. Ja, der fußballerische Wahnwitz lässt ihn sogar seinen ansonsten angeboreren Defätismus vergessen. Als deutscher Gast im derzeit "fußball-narrischen" Wien muss man in diesen Tagen jedenfalls gute Nehmerqualitäten mitbringen. "Wollens dös wirklich hörn?", antwortet Christian Püringer, Besitzer des Trafiks (Kiosks) um die Ecke im 4. Bezirk mit einer Gegenfrage auf die Eingangsfloskel, wie es denn wohl ausgeht am Montagabend. "Die foahrn hoam, die Deitschen - sie wissens nur noch net!"

Klarer Fall, der Mann verkauft sie nicht nur, Austrias Boulevardblätter, er liest sie auch. Und aus ?Kronenzeitung? oder ?Kurier? tropft sie beinahe schon raus, die Euphorie ums eigene Team, die unablässig geschürte Begeisterung, die herbei geschriene Sensation, die Häme für die "Piefkes" satte 30 Jahre n.C. - "nach Cordoba" also. Der Krieg der Worte, er ist in vollem Gange.  

+++ Von der Fußball-EM 2008 berichtet Klaus Reimann +++

Diesmal soll alles noch sensationeller, noch besser, noch größer werden. Die "Kronenzeitung" ruft die "Mission Airbus" aus und fordert das Hickersberger-Team auf: "Schickt die Deutschen heim". Der "Kurier" sieht das Land schon am Beginn eines "Sommermärchens." Ein Märchen, das selbstverständlich die Begeisterung in Deutschland vor zwei Jahren und alles bis jetzt im Fußball Dagewesene in den Schatten stellt. Um des großen Ansturms Herr zu werden wird heute Abend zusätzlich zur Fanmeile am Rathausplatz auch noch das Hanappi-Stadion, Heimstatt von Rapid Wien, in eine große Public-Viewing-Zone umfunktioniert. Dort haben dann noch mal 40.000 Fans Platz.

"I glaub', jetzt hammas gschlagn!" - Vor 30 Jahren wird Österreich narrisch und Deutschland verspielt das Spiel um Platz drei...

Bei soviel gelebter Faszination für die Fußball-Heroen in Rot und Weiß lässt sich auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Österreich nicht zweimal bitten, wenn es darum geht, eine gesunde Portion Nationalismus unters Volk zu bringen. Im ORF 1 wird die alte K.u.K.-Zeit wieder ausgerufen. In einem Spot spricht der Monarch im "Kaiserlichen Kickersender" mit Blick auf das heutige Spiel im Ernst-Happel-Stadion an seine Untertanen und verkündet: "Für 90 Minuten heiße dieses Stadion Cordoba."

Sogar die große Politik wird heute Abend mit ihren Lieblingen mitfiebern. Nicht ganz uneigennützig - wie immer also, wenn Politiker die Bühne des Sports für ihr eigenes Fortkommen betreten. Neben der EM ist die österreichische Regierungskrise derzeit Thema Nummer eins in den Landes-Gazzetten. Nach der jüngsten Gallup-Umfrage stehen nur noch 16 Prozent der Österreicher hinter Kanzler Alfred Gusenbauer, 44 Prozent votieren demnach für seinen Rücktritt. Da kommt der nationale Schulterschluss gegen den vermeintlich übermächtigen Nachbarn gerade recht. Klar, dass der stark ins Wanken geratene Regierungschef auf einen Sieg gegen die "Piefkes" und den damit verbundenen Viertelfinaleinzug hofft. Ob ein solches Ereignis die Ära Gusenbauer noch mal verlängern kann, ist allerdings fragwürdig. Denn nicht allein wegen des heutigen Alles-oder-nichts-Spiels im Happel-Stadion, respektive der Cordoba-Arena, haben die Österreicher längst alle Contenance verloren.

PS. Die letzte deutsche Niederlage liegt 22 Jahre zurück.

, 15.06.2008

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