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+++ EM-Tagebuch (8) +++

?Wir planen und planen, dabei ist die Intuition doch immer noch was Gutes.? Nein, daneben getippt. Dieser Satz stammt nicht von Bundestrainer Joachim Löw. Hätte sein können bei diesem Verfechter der offensiven Spielvariante, der Kombination von Dominanz im Auftritt und ansehnlichem Spiel. Doch handelt es sich um einen Ausspruch des Malers Paul Klee ? in großen Lettern zu lesen in der Wiener Albertina, dem eindrucksvollen Museumsbau in der Nähe des Karlsplatzes, in dem derzeit Werke von eben jenem Klee und Oskar Kokoschka gezeigt werden.

Den Nationalspielern wird keine Zeit geblieben sein im Vorfeld der Partie gegen Österreich, um der Albertina einen Besuch abzustatten. Vielleicht hätten sie den Klee-Ausspruch ja zu schätzen gewusst ? so von Künstler zu Künstler. Ob ihnen dann fußballerisch-intiutiv mehr eingefallen wäre im ?Endspiel? gegen Austria, sei allerdings dahingestellt. Die Momente, in denen die Nationalspieler im Ernst-Happel-Stadion aufs Gute im Fußball zurückgriffen, waren jedenfalls dünn gesät. Der enorme Druck, der nach der Kroatien-Pleite auf der Mannschaft lastete, war wohl zu groß, um dem fußballerischen Instinkt, der Intuition freien Lauf zu lassen. Michael Ballack klang geradezu entrüstet, als er auf die spielerische sicher enttäuschende Vorstellung angesprochen wurde: ?Man konnte nicht erwarten, dass wir locker und befreit aufspielen. In diesem Spiel zählte nur das Weiterkommen?, sagte der Kapitän und bestätigte seine eigene Einschätzung dieser Begegnung, die Ballack vorab als ?ein Achtelfinale? eingestuft hatte. Doch ist in einem Achtelfinale gute Fußball auf einmal verboten?

Wie auch immer, der Plan vom Viertelfinale hat sich jedenfalls erfüllt für die DFB-Auswahl. Aber damit ist das Reservoir an Zielen und Vorgaben noch lange nicht erschöpft. Schließlich haben sich beim größten Sportfachverband der Welt bei und für diese EM nicht alles minutiös geplant und mit einem Etat von satten 20 Millionen Euro versehen, um nach dem Viertelfinale nach Hause zu fahren.

Doch wie auf dem Rasen, so haben die Folgen der fast schon traumatischen Pleite gegen Kroatien die Sichtweisen im Nationalteam verschoben. Das Selbstbewusstsein hat gelitten, das Selbstverständnis eine Spur nüchterner geworden. Oder sogar realistischer? Vor Wochen noch mit der Diktion des selbsternannten Titelanwärters frech und forsch vor jedes Mikrofon tretend, schlagen die Nationalspieler auf einmal eher leise Töne an. Zumal dann, wenn die Sprache auf den Viertelfinalgegner Portugal kommt. Die Mannschaft gefällt sich in der Position des Außenseiters. ?Die Portugiesen sind schon der Favorit. Aber das ist auch mal ganz gut für uns?, befand Torsten Frings. Im Umkehrschluss heißt das nichts anderes, als dass die Akteure richtig froh darüber sind, gegen Ronaldo und Co. mal ohne die offensichtlich doch schwer wiegende Favoritenbürde auflaufen zu können.

Diese Favoritenbürde in Kombination mit dem Bammel vor einem zweiten Cordoba lasteten gegen Österreich schwer auf der DFB-Elf. Erst recht, als es trotz eines reichen Reservoirs an besten Tormöglichkeiten in den ersten Minuten nach einer Viertelstunde immer noch 0:0 stand. Da spätestens ging die Angst um im Team, anders ist der freiwillige Rückzug vom bis dahin forschen und dominanten Auftreten nicht zu erklären. Was Frings indirekt bestätigt, wenn er sagt: ?Diese tausendprozentigen Chancen mussten wir einfach machen. Solche Möglichkeiten darfst du nicht vergeben in einem Turnier. Sind die Dinger drin, läuft das Spiel ganz anders.? So aber lief nicht mehr viel im deutschen Spiel, das an einer fehlenden Schaltstation im Mittelfeld litt. Als Folge dieser Brache im Zentrum des Offensivspiels blieben auch die Stürmer Miroslav Klose und Mario Gomez isoliert und damit wirkungslos. Allerdings unternahmen beide auch herzlich wenig, um gegen die eigene Tatenlosigkeit initiativ zu werden.

So blieb es bei einem bis aufs Resultat wenig erquicklichen Abend. Was Co-Trainer Hansi Flick, verbal mindestens so hilflos agierend wie die Nationalspieler im Happel-Stadion, nicht davon abhielt, dem Ganzen eine positive Note anzudichten. ?Das war eine kompakte Mannschaftsleistung, jeder hat bis zur letzten Minute gekämpft. Die Abwehr hat gut gestanden und in der Offensive war wesentlich mehr Laufbereitschaft zu erkennen als noch gegen Kroatien.? Lediglich nach der Führung habe die Mannschaft ihre Kontermöglichkeiten ?nicht konsequent ausgespielt?.

Das war dann wirklich eine stark geschönte Sicht der Dinge. Denn statt nun endlich Fußball zu spielen, zu Kombinationssicherheit und damit auch zu neuem Selbstbewusstsein zu finden, igelte sich das DFB-Team hinten ein und verließ sich einzig und allein auf die Harmlosigkeit österreichischer Stürmer. Auf die ja tatsächlich Verlass war.

So war zumindest der allgemeine Tenor, wonach eine ?erhebliche Steigerung gegen Portugal? (Philipp Lahm) vonnöten sein wird, wieder von Realitätssinn geprägt. Chancenlos sehen sich die deutschen Spieler trotz eingenommener Außenseiterrolle nicht. ?Das wird eine andere Partie. Wichtig wird es sein, die Portugiesen aus dem Spiel zu nehmen?, sagte Christoph Metzelder. Wenn das gelänge, wäre schon viel geschafft. Letztlich heiligt der Erfolg die Mittel. Auch wenn wir uns gegen Portugal schon etwas mehr vom Guten, etwas mehr Intuition wünschen würden.

+++ Von der Fußball-EM 2008 berichtet Klaus Reimann +++

Wenn im deutschen Fußball ein Luxusproblem konstatiert wird, dann ist das schon ein Vorgang hart an der Grenze zur Anmaßung. Sind wir Brasilien oder was? Wenn dieses Luxusproblem dann auch noch zu einem wahren Problem ohne erkennbare Lösungsansätze mutiert, ist der Irrtum endgültig entlarvt. Die Rede ist vom deutschen Angriff ? derzeit eher ein Nullproblem für gegnerische Abwehrreihen.

Das schien vor Wochen noch ganz anders. Vier Stürmer edler Güte, so die vorherrschende Meinung, waren fürs EM-Turnier fest eingeplant. Miroslav Klose, Mario Gomez, Lukas Podolski und sogar Kevin Kuranyi bildeten das Rundum-sorglos-Quartett des deutschen Fußballs. Die Frage Oliver Neuville oder Patrick Helmes entschied der Bundestrainer letztendlich zugunsten des erfahrenen Spielers ? fertig war das Zauber-Quintett mit eingebauter Torgarantie.

Kann wirklich nur er Tore machen?

Kann wirklich nur er Tore machen?

Die Gegenwart sieht freilich ernüchternd aus. Platzieren wir Lukas Podolski im Mittelfeld, wo er ja seit EM-Beginn tatsächlich auch überzeugend agiert, so wurden bis dato alle vier deutschen Tore von Mittelfeldspielern erzielt. Die Torgaranten indes garantieren den Fans nach den Vorrundenspielen allenfalls Kopfschütteln und blankes Entsetzen. Miroslav Klose, so der Eindruck, würde einen Ball sogar noch mal abspielen, wenn er mit ihm auf der Torlinie stünde. Mario Gomez, so die Erkenntnis, bekommt den Ball noch nicht einmal über die Torlinie, wenn er mit ihm auf selbiger auftaucht. Und Kevin Kuranyi? Mimt nach einer allenfalls durchwachsenen Saison im Schalke-Dress in der Nationalmannschaft weiter den Stehgeiger im deutschen Angriff. Versehen mit dem altbekannten Phlegma erweckt Kuranyi nicht gerade den Eindruck, sich unbedingt als Gomez-Alternative aufdrängen zu wollen. Oliver Neuville bleibt die Ideallösung, wenn effektives Konterspiel gefordert ist. Nicht mehr, nicht weniger. Was aber auch schon vor der EM bekannt war.

So war, bei Licht betrachtet und die oben erwähnte Anmaßung mal ganz beiseite geschoben, ein Luxusproblem nie wirklich existent. Wenn drei von fünf Spielern ohne erkennbare Form zu einem Turnier reisen, ist die Frage vielmehr, ob drei Wochen genügen, dieses Trio wieder in Schuss zu bekommen. Es ist, nach dem aktuellen Stand der Dinge, bei Miroslav Klose, bei Mario Gomez und bei Kevin Kuranyi nicht gelungen. Stürmern helfen nur Tore bei der Frust- und Krisenbewältigung. Im Falle von Mario Gomez, der gegen Österreich nach seiner verpassten Großchance wie die personifizierte Verunsicherung über den Platz schlich, dürfte selbst der generöse Bundestrainer allmählich mit seiner Geduld am Ende sein. Zumal gegen Portugal ein weniger offensiv ausgerichtetes Mittelfeld angeraten ist, dürfte der Sturm im Viertelfinale mit Klose und Podolski besetzt werden. Vielleicht zieht der gut aufgelegte Podolski seinen WM-Sturmpartner ja aus der Krise. Vielleicht trifft Gomez ja als Joker. Vielleicht straft Kuranyi doch noch alle Kritiker lügen. Vielleicht?

, 17.06.2008

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