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Kalte Effektivität schlägt heißen Kampf

Überall ausgelassene Stimmung in Deutschland

Überall ausgelassene Stimmung in Deutschland

Es ist vollbracht: Nach zwölf langen Jahren der Abstinenz steht Deutschland wieder in einem EM-Finale. Die DFB-Auswahl hat sich das türkische Erfolgsrezept zu Eigen gemacht und mit Lahms Siegtreffer in der Schlussminute für kollektiven Jubel in der Bundesrepublik gesorgt. Überzeugend war die Leistung sicherlich nicht ? nur danach fragt schon heute niemand mehr.

Die türkische Elf hat ein großartiges Spiel abgeliefert. Mit ihrem unbändigen Willen hat sie die Partie schon nach wenigen Minuten an sich gerissen und über 90 Minuten klar dominiert. Doch auch Kampf und Leidenschaft sind nur wenig wert, wenn man in den entscheidenden Momenten vergisst, zu verteidigen. Dass Deutschland drei Tore geschossen hat, ist dem Spielverlauf nach trotzdem kaum zu erklären. Für Löw ist es die ?Siegermentalität? mit der er nun auch das Finale gewinnen will.

Wer vor dem Spiel einen lockeren Spaziergang Richtung Wien erwartet hatte, wurde schnell eines Besseren belehrt. Die deutsche Elf war im Vergleich zum Portugal-Spiel trotz gleicher Aufstellung kaum wieder zu erkennen. Statt dem Gegner selbstbewusst und aggressiv gegenüber zu treten, spürte man förmlich die Nervosität in allen Mannschaftsteilen. Dass die Türken nur mit Mühe und Not elf einsatzfähige Spieler aufstellen konnte, schien die deutsche Mannschaft mehr zu belasten als die ihres Gegners.

Das Team von Fatih Terim spielte von Beginn an ein sehr dynamisches Forechecking, stellte die deutschen Passwege zu und erzwang so regelmäßig Abspielfehler. Schon nach acht Minuten hätte Kazim nach einem Aussetzer von Lahm die Führung erzielen können, scheiterte mit seinem Schuss aber an Lehmann. Fünf Minuten später war es die Latte, die dem agilen Türken im Weg stand.

Gerade in den ersten zwanzig Minuten war der deutsche Defensivverbund mit dem türkischen Powerplay überfordert. Die ?Doppel-Sechs? hinter Ballack konnte das Spiel nicht ordnen, Schweinsteiger und vor allem Podolski auf den Außen ließen ihre Partner Friedrich und Lahm oftmals im Stich. Mertesacker mit Stellungsfehlen und gravierenden Abspielfehlern in der Vorwärtsbewegung, Metzelder ohne Bindung zum Spiel.

Ballack versuchte zwar wiederholt die Defensive mit lautstarken Anweisungen aufzuwecken, lieferte aber auch selbst nur eine schwache Leistung ab. Löw quittierte die Anfangsphase mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck ? als ahnte er schon, was kommen würde.

"Poldi" und Lahm mit Höhen und Tiefen

"Poldi" und Lahm mit Höhen und Tiefen

Der türkische Führungstreffer in der 22. Minute war schließlich ein Sinnbild für die pomadige Passivität von Jogis Elf. Lahm und Podolski lassen Sabri flanken, Kazim entwischt Mertesacker im Strafraum, verliert aber erneut das Duell gegen die Latte. Dieses Mal fällt der Abpraller jedoch Ugur vor die Füße, der nicht lange zögert und das hochverdiente 1:0 erzielt. Dass Friedrich lieber eine vermeintliche Abseitsstellung monierte als seinen Gegenspieler zu decken, war bezeichnend für das gestrige Spiel.

Die Freude der Türken währte allerdings nur kurz, denn Deutschland schlug mit dem ersten durchdachten Angriff prompt zurück. Ballack gewinnt im Mittelfeld endlich einen Zweikampf, passt zu Hitzlsperger, der Podolski steil schickt. Wie gegen Portugal marschiert der Münchener die linke Seite entlang und flankt flach in die Mitte, wo Schweinsteiger in Stürmermanier mit dem Außenriss sensationell für den Ausgleich sorgt.

Bis zur Halbzeitpause konnte die DFB-Auswahl das Spiel nun ausgeglichener gestalten; es entwickelte sich ein offener Schlagabtausch. Doch Altintop und Sabri auf der einen sowie Klose und Podolski auf der anderen Seite scheiterten mit ihren Versuchen. Nichtsdestotrotz gestaltete sich der Spielstand nach 45 Minuten für den angeblichen Favoriten mehr als nur schmeichelhaft.

Das deutsche Trainerteam verzichtete auf taktische Veränderungen, ersetzte nur den angeschlagenen Rolfes durch Frings, der trotz einer gebrochenen Rippe immerhin Kraft für eine Halbzeit haben sollte.

Die Hoffnung auf Besserung nach Wiederanpfiff währte nur kurz. Das deutsche Spiel war weiterhin von unzähligen Fehlern übersäht, Struktur und Ordnung blieben vollkommen auf der Strecke. Jogis Entsetzen aus der ersten Spielhälfte wisch langsam aber sicher blanker Wut. So war der Bundestrainer letztlich der Einzige, der an die Leidenschaft der Türken heranrücken konnte.

Elfmeter oder nicht?

Elfmeter oder nicht?

Anfang der zweiten Halbzeit wurde das Spiel deutlich ruppiger. Die Türken konnten das angeschlagene Tempo der ersten Halbzeit nicht mehr gehen, versuchten dies aber durch eine härtere Gangart zu kaschieren. Dass Busacca in der 51. Minute an der türkischen Strafraumgrenze ein Foul an Lahm nicht ahndete, war eine der offensichtlichsten und eindeutigsten Fehlentscheidung der EM bislang. Ob es Freistoß oder Elfmeter hätte geben müssen, ist eine müßige Diskussion ? ein Foulspiel war es aber definitiv.

Kurz darauf ein erneuter Schock für die Zuschauer: Ein Stromausfall im Wiener Übertragungszentrum sorgte für schwarze Mattscheiben in Europa. Erst kommentierte Bela Rethy nur per Telefon, dann schaltete das ZDF auf das Signal des Schweizer Fernsehens um. Da die Bilder Rethys Kommentar gut zwei Sekunden nachhingen, hörten die deutschen Fans erst vom 2:1 durch Klose, bevor sie es sahen.

Elf Minuten vor dem Ende setzte sich Lahm auf Linksaußen durch und flankte aus dem Halbfeld auf Klose, der dank seiner enormen Sprungkraft das Duell gegen Mehmet Aurelio gewann und von einem Fehler Rüstüs profitierte, der unnötigerweise sein Tor verlassen hatte. Der Jubel auf der Ehrentribüne fiel dabei nur verhalten aus ? man hatte fast das Gefühl, der Treffer sei ihnen unangenehm.

Zehn Minuten vor Spielende der Führungstreffer gegen einen ausgelaugten Gegner ? das musste es doch sein. Wäre der Gegner nicht die Türkei gewesen. Terims Schützlinge gingen nun endgültig über ihre Schmerzgrenzen und kamen wie in den vorherigen drei Spielen auch gegen Deutschland wieder zu einem späten Torerfolg: Der enorm starke Sabri lässt Lahm wie einen Anfänger stehen, passt in die Mitte und erneut kommt Mertesacker gegen Semih zu spät, der mit dem Ausgleich sein Land kurzzeitig in den siebten Himmel schoss.



Kurzzeitig. Denn gestern Abend hatte die deutsche Mannschaft das letzte Wort. Erneut ist es Lahm, der seinen Fehler wieder gut machen will und mit nach vorne stürmt.
Spielt eine gute EM: "Schweini"

Spielt eine gute EM: "Schweini"

Doppelpass mit Hitzlsperger und Lahm steht plötzlich frei vor Rüstü, der keine Chance gegen den Schuss des Müncheners hat (Foto oben). Nach 92 Minuten gewinnt Deutschland auch das Halbfinale mit 3:2 und freut sich nun auf Wien, die Hauptstadt des "Schmähs."

Löw und sein Team haben das erreicht, was vor dem Turnier jeder erwartet, womit nach dem Kroatien-Spiel aber kaum einer mehr gerechnet hatte: Den Finaleinzug. Ob der Gegner dort Spanien oder Russland heißen wird, ist nebensächlich, denn Deutschland muss sich so oder so erheblich steigern. Matchwinner Lahm sprach nach dem Spiel von einem ?unglaublich schönen Gefühl? und will nun nur noch eines: Den Titel. Die Chancen dafür stehen außerordentlich gut. Am erfolgreichsten ist die deutsche Elf nämlich immer dann, wenn sie so spielt wie gestern: Typisch Deutsch.  

, 26.06.2008 

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