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Standortbestimmung im Pott: Über Asoziale, Tote und Zaungäste

An dieser Stelle starten wir heute eine neue Kolumne in der Kirsche, die sich in erster Linie mit den dominanten Ruhrgebietsvereinen - die in unmittelbarer Nähe zueinander beheimatet sind - beschäftigt. In lockerer Art und Weise soll hier der "Stallgeruch" des Ruhrpotts wahrnehmbar werden, sollen ausgelebte Emotionen ihren Raum finden und der gegenseitige Flachs blühen.  einfach, wenn Ihr uns Eure Meinungen & Anregungen zu "Die Nr.1 im Pott sind wir" mitteilen wollt.

Als neulich nach dem Derby Schalke-BVB durch die Presse ging, dass ein Polizist bei Auseinandersetzungen zwischen den gegnerischen Fangruppierungen verletzt wurde, da kamen erstmals wieder diese Erinnerungen hoch an die längst vergessen geglaubten 80er und 90er-Jahre Szenerien. Bilder, die manch einer aus dieser Generation angesichts Stiftung Warengetesteter-Multiplex-Arenen scheinbar schon verdrängt hat. Verständlicherweise! Doch diesen geballten und völlig unreflektierten Hass, der sich nicht selten in wüsten und kompromisslosen Schlägereien entlud, kann man einfach nicht vergessen. Fußball war damals noch der gefürchtete "Proletensport" und völlig zu Recht hatten in dieser Zeit einige traditionelle Fußballfans Angst ins Stadion zu gehen. Die Heimwege wurden häufig durchkreuzt von wie aus dem Nichts auftauchenden Herden von Jungs in teuren Turnschuhen (der Marke New Balance) und noch teureren Jacken (Chevignon). Man musste aufpassen, dass man bei ihrem folgenden traditionell unmotivierten Losrennen nicht über den Haufen getrampelt oder von der angerückten Polizei ins Visier genommen wurde. Nicht selten haben sich in dieser Zeit Mitglieder eines Fanklubs so oder ähnlich vorgestellt wie in dem folgenden, original wiedergegebenen Zitat aus den 80ern: "Ich bin von Beruf asozial - weil ich arbeitslos bin. Zur Klubentstehung kann ich nur eins sagen: Wir sind am Karfreitag gegründet worden, weil da sowieso nichts los war. Wir wussten nicht, was wir machen sollten, deshalb haben wir einen Klub gegründet. Power-Klub ohne Ende!"

Auch die Feinde des Klubs waren ganz schnell und klar ausgemacht. Und Gründe um sich zu prügeln, lagen ja auch eigentlich eindeutig auf der Hand: "Warum wir Schalker hauen? Weil se Dreck sind, Asoziale sind, weil se FC Meineid heißen." Da fehlte es dann schließlich nur noch, ein geeignetes Lied anzustimmen, was gerne auch schon einmal so klingen durfte: "Schlagt die Schalker tot, schlagt die Schalker tot!" Das konnte natürlich die Gegenseite nicht unbeantwortet lassen und diese stellte deshalb prompt schlüssig fest: "Die anderen provozieren uns immer und wir provozieren auch die anderen. Da kommt es dann zu Schlägereien. Außerdem find ich, das ergibt sich von selbst. Wir haben ne Todfeindschaft zu den Dortmundern. Weil das totale Lutscher sind. Weil wir die total nicht abkönnen. Eine verdammt traurige Zeit damals, mit einem Umfeld, das der Fußball nicht verdiente.

Im Lichte dieser Erinnerungen betrachtet, sind die aktuellen Scharmützel noch von einer beruhigenden Harmlosigkeit, so dass man wohl berechtigterweise hoffen darf, auch weiterhin ohne Blessuren den Stadionbesuch zu überstehen. Als bekennender Bochumer und VfL-Fan fällt dies einem ohnehin schon immer etwas leichter. Die "Rolle des kleinen Zaungastes", wie es der Autor Frank Goosen neulich in einem Interview nannte, beinhaltet leider auch allzu oft, dass man nur von Ferne dem Treiben der beiden großen Nachbarn folgen darf. Manchmal weil man ohnehin in den letzten Jahren nicht in derselben Liga spielte und manchmal auch einfach deshalb, weil man nie richtig ernst genommen wurde von den Fans der übermächtig erscheinenden Traditionsklubs. Dieses hochnäsige "Wer seid ihr schon?", musste eigentlich nie wirklich ausgesprochen werden, es ist einfach da. Immer und zu jeder Zeit.

Ich erinnere mich noch gerne an unsere "schlimmen" Jugendtaten. Als mein Kollege M. mit einer um die Schulter gelegten Bochum-Fahne am Ruhrstadion den Dortmunder Gästefans ein bitteres "Verpisst euch hier!" zurief. Grundgütiger haben wir uns damals kaputt gelacht. Was Alkohol so alles anrichten kann! Einen auf die Schnauze hat er dennoch nie gekriegt. Sieht eben einfach so sympathisch aus, dass man ihn demnächst auch im Fernsehen bewundern kann.

Und vor einem Jahr habe ich dann auch noch in eine Schalke-Familie reingeheiratet. Der Schwiegervater selbst ist Gott sei Dank Bochumer und hat sich diebisch gefreut, Unterstützung zu bekommen, aber der Rest trinkt Veltins und hat lauter Poster und Fanutensilien von Königsblau im Partykeller. Ich hätte nie gedacht, dass ich da auch nur einen Abend würde verbringen können. Aber was Alkohol nicht alles richten kann!

Der SK Kölsch-Fernsehkommissar Uwe Fellensiek (bekennender Bochumer) hat mal gesagt, dass es für ihn kein Problem war, als VfLer einen Köln-Fan zu spielen: "Das sind beides Fans, die Fußball lieben und mit ihrem Verein sich freuen und leiden". Wo er Recht hat, hat er Recht. Wobei mir seine Toleranz und Akzeptanz schon ein bisschen zu weit geht. Wie man Dortmunder oder Schalker sein kann, weiß ich einfach beim besten Willen nicht. Aber egal: Die einzig wahre Nummer 1 im Pott sind bis auf weiteres ohnehin wir. (Sieger des DWS-Revier-Turniers)

, 22.2.2006 

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