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Warum ein Winterball die Zukunft des deutschen Fußballs sein kann

Mittwoch, es ist Champions-League-Abend, Giganten-Wettstreit in der Königsklasse zwischen dem AC Mailand und Bayer München. Draußen treibt ein Sauwetter sein nass-kaltes Unwesen. Die Zeichen stehen also auf den ?Blick geradeaus?, die Augen weder rechts noch links, sondern stur auf die Mattscheibe gerichtet. Doch diesem Mainstream-Verhalten widersetzen sich an diesem denkwürdigen Abend etwa 25 meist deutlich über 50jährige Männer in einem Hinterraum einer Eckkneipe in Bochum-Weitmar. Der ehemalige Langzeit-Präsident des VfL Bochum, Ottokar Wüst, hat zusammen mit seinem Jugend-Obmann aus vergangenen Tagen, Erwin Steden, zu einem ?launigen Klönabend? über die Geschichte des VfL geladen.

VfL-Alt-Präsident Ottokar Wüst in launiger Runde

VfL-Alt-Präsident Ottokar Wüst in launiger Runde

Erwin Steden steht aufrecht und richtet seinen Blick gleichmäßig um sich schauend in die interessiert lauschende Runde. Man hört gerne zu. Von Zeit zu Zeit vergewissert er sich bei seinem mittlerweile achtzigjährigen Alt-Präsidenten, ob seine Ausführungen auch Hand und Fuß haben. Ein billiger Trick, um Ottokar Wüst aus seiner leicht reservierten Zurückhaltung zu locken, aber keinen im Saal scheint dies zu stören. Vielmehr richten sich die Augen stets sofort auf das grau toupierte Gesicht des ehemaligen Herrenausstatters. Kurz hält Wüst dann inne. Er scheint zu überlegen ? jedenfalls denkt man das für einen Moment ? ob die Runde es wert sei, dass er überhaupt das Wort erhebt. Doch dann legt er los. Seine Stimme ist fest und seine Ausführungen teilweise von einer solchen Schärfe und Scharfsinnigkeit, dass man bedauert, sie nur in diesem verrauchten Hinterzimmer vor einer kleinen, fast intimen Gesellschaft zu vernehmen. Traurigkeit macht sich für einen Augenblick breit. Ist diese Örtlichkeit der würdige Rahmen für solch eine Veranstaltung? Verdienen die alten Herren und ihre interessanten Ausführungen nicht ein anderes, ein größeres Auditorium?

Das Spiel der Spiele in Mailand hat längst begonnen und wir lauschen gebannt den Anekdoten über die bewegten 60er Jahre. Als noch ein Trainer Lindemann in Bochum aktiv war und angeblich so blind gewesen sein muss, dass er ?die Castroper Staße ein ums andere Mal verkehrt herum hinauf gefahren ist?, wie Steden, selbst sichtlich amüsiert, erzählt. Dann erhebt wieder der Alt-Präsident das Wort und ich denke dabei an die längst vergangenen Zeiten, als der VfL noch die eine große Familie gewesen sein muss und der strenge aber geachtete ?Familienvater? Ottokar Wüst seine Schäflein zusammenhielt. Er spricht viel über die Freunde, die er damals um sich versammelte und die ihm dabei halfen, den maroden VfL in die Erfolgsspur zu führen. Und dann unterbricht ihn plötzlich das erste und einzige Mal an diesem Abend Erwin Steden ? nicht ohne sich im Folgenden mehrfach dafür bei Wüst zu entschuldigen. Aber was gesagt werden muss, muss einfach mal gesagt werden. Und so erzählt Steden über die früher jeden Dienstag abgehaltenen Vorstandssitzungen. Abende, auf die er sich schon am Montag früh immer freute wie ein Kind auf Weihnachten. Abende, die Wüst ?zelebrierte? und an denen der damalige Ehrenvorsitzende, wenn er denn mal dabei war, gebeten wurde, das Wort zu ergreifen. Es waren schöne Abende unter Freunden, sagt Steden, aber ? und jetzt kommt?s -  es waren auch Abende, an denen am Ende demokratisch entschieden wurde. Wüst hätte zwar immer gerne das letzte Wort für sich beansprucht, aber er hätte immer auch die Meinung der anderen geschätzt und für wichtig befunden, so die sicherlich etwas nostalgisch verklärten Erinnerungen von Steden. Aber als ob dies noch nicht reichen würde, um beim Zuhörer unmissverständliche Zuordnungen zu heutigen Zuständen zu erzeugen, setzt Steden noch einen drauf. ?Heute werden ja alle Entscheidungen von einem Mann allein getroffen und wenn er sich mal berät, dann mit sich selbst?. Uff, das war deutlich und man hört die tiefe Verbitterung aus seiner Stimme heraus. Was ist da bloß schief gegangen beim VfL? Warum ist die Außendarstellung in weiten Zügen so eindimensional negativ? Und warum hat man als einfacher Fan das Gefühl, dass das alles eine riesengroße Scheiße ist?

Erfolgreiche VfL-Nachwuchsarbeit: Werner Balte

Erfolgreiche VfL-Nachwuchsarbeit: Werner Balte

Um es klar zu sagen: Es tut weh, wenn ein achtzigjähriger Mann (Wüst) jeden seiner kleinen Monologe abschließt mit der Formulierung: ?Das soll aber nichts Negatives über die aktuelle Führung heißen?. Nein, natürlich nicht, aber andererseits natürlich doch. Und dieses Andererseits muss möglich sein, ohne auf das nächste große Donnergrollen aus der VfL-Zentrale gebannt warten zu müssen ? was dann auch so sicher kommt wie das Amen in der Kirche. Warum kann ein Mann mit dieser Erfahrung nicht einen einfachen Gedanken zu Ende bringen, ohne gleich wieder befürchten zu müssen, dafür abgestraft zu werden? Noch einmal, das tut verdammt weh und wirft viele Fragen auf.
Aber irgendwann an diesem Abend vergisst man für einen Moment die Aktualität und schwelgt in Erinnerungen an Zeiten, als Fußballtrainer noch durchweg ehrenamtliche Erzieher waren und Erstligavereine soziale Verantwortung nicht nur als Marketingeffekt verstanden. Und als dann am Ende noch das hohe Lied auf die legendären Winterbälle des VfL gesungen wird, begreift man, was passiert ist in den letzten Jahren. Und ob man will oder nicht, man versteht, warum die Welt heute eine andere ist. Und so lauscht man gebannt den letzten Worten von Erwin Steden: ?Die Winterbälle mit den prominenten Gästen und den tollen Reden von Ottokar waren wunderschön. Aber viel wichtiger war, dass wir am nächsten Tag die festlich geschmückte Halle für unsere Feier mit den Jugendmannschaften nutzen konnten. Und da kamen dann Oma und Opa, Tante und Onkel, Mama und Papa und die Kinder haben zusammen mit ihren Trainern einstudierte Stücke aufgeführt oder Lieder gesungen. Da waren ganz tolle Knaben drunter?. Und ? nicht wenige von denen haben später den VfL über zwanzig Jahre in der Ersten Liga gehalten. Vielleicht sollte man beim DFB mal über deutschlandweite Winterbälle nachdenken. Einfach um der Zukunft des deutschen Fußballs willen?

, 10.03.2006

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